Mitteilungen für Baedeker-Freunde, Heft 3 / 1981

Die Lieferverzeichnisse als Quelle

Reinhard Öhlberger

Als Verlag, der sich den Leser auch für den Erwerb weiterer Bände der Produktion sichern wollte, hat Baedeker schon von Anfang an in seinen Bänden für sich Werbung betrieben. In den Bänden vor 1859 geschah dies etwa mit einem "Verzeichnis von Reisehandbüchern und Kunstsachen" auf dem vorderen Vorsatz (der damals übrigens noch nicht die spätere gelbliche Färbung besaß). Diese Verzeichnisse waren allerdings außer den eigenen Werken auch anderen bodenständigen Buchprodukten gewidmet, etwa Delkeskamps Rheinpanorama oder anderen Ansichtenwerken. Obwohl Baedeker in den Vorworten dieser Zeit immer wieder auf sein Vorbild, den Verlag Murray, hinweist und mit dem "Handbuch für Reisende durch Deutschland und den österreichischen Kaiserstaat" auch dessen charakteristische Einbandgestaltung übernahm, hat er natürlich nicht für ihn geworben - verkauft hat er die Murray'schen Bücher in seinem Laden in Koblenz wohl sicher.

Hinweise auf die Fortsetzungsmöglichkeit von Reiserouten in Gebiete, die bereits in anderen Bänden beschrieben sind, finden sich auch im Text, mit wechselnd genauer Titel- und Ausstattungsangabe; oft ist der Preis beigefügt. Bisweilen ist auch im Vorwort eine empfehlende Mitteilung, im Text oder als Fußnote, untergebracht. Bis zum Jahr 1856 hatten sich anscheinend genug positive Kritikerstimmen in Zeitung und Journal gefunden, um diese auf einem Doppelblatt zwischen Vorsatz und Titel zu versammeln. Als Kopf fungiert das Verlagsprogramm, die Ankündigung fremder Werke wird fallengelassen, ebenso auch die Hinweise in eigener Sache in Vorwort oder Text. Von 1856 bis 1858 präsentiert sich die Eigenwerbung in dieser Form, um ab Mai 1859 wieder auf den nun schon spezifisch gelb gefärbten Vorsatz überzugehen. Man beschränkt sich auf das eigentliche Programm, und es erscheint der meist originale und recht ausführliche Wortlaut des Titels, die ziffernmäßig genau festgehaltene Ausstattung und der Preis, vorerst in Talerwährung, ab Ende 1874 in Mark.

Es wäre kritisch anzumerken, daß diese sehr präzise formulierten Angaben über die Anzahl der Karten und Pläne durchaus nicht immer mit der originalen Titelangabe der betreffenden Bände übereinstimmen; auch sind diese Titelangaben mit dem tatsächlich kollationierbaren Ist-Bestand an Beigaben nicht immer unter einen Hut zu bringen (Pläne im Text oder Beikarten oder -pläne auf größeren Blättern werden anfangs nicht, später sehr wohl als Einzeldarstellung angeführt); so daß sich im Einzelfall bis zu drei verschiedene Angaben über ein und dasselbe Buch machen lassen. Doch werden diese Divergenzen, die besonders in den beginnenden 60er Jahren auftauchen, später durch fast immer gleichlautende Zahlen ersetzt.

Die Ankündigung der Bände in englischer und französischer Sprache, deren Produktion langsam expandiert, führt zu innen beidseitig bedruckten Vorsätzen in der Zeit von Mitte 1861 bis Ende 1867. Ab Dezember 1867 erscheinen nur mehr die Bände der jeweiligen Sprache auf dem linken Vorsatzblatt.

Besonders erfreulich und aufschlußreich ist auf diesen Vorsätzen die letzte Zeile mit der Angabe des Druckdatums: Monat und Jahr. Es ist meist ein späterer Zeitpunkt als die Jahresangabe auf dem Titel des Bandes - ein Hinweis darauf, daß die Bände ein und derselben Auflage sukzessive bzw. nach Bedarf gebunden wurden, und nicht schon bei Erscheinen der Auflage alle schon fertig hergestellt waren (Ob es sich die für Baedeker arbeitenden Druckanstalten mit ihrem Vorrat an Typen leisten konnten, den Satz der Bücher zum Nachdruck bestehen zu lassen, bleibt dahingestellt; es ist jedoch für die in kürzeren Abständen erscheinenden Bände der Produktion eher nicht anzunehmen).

Diese ehrliche Bekanntgabe der momentanen oder schon nicht mehr gegebenen Aktualität ist bei den deutschen Ausgaben bis Ende 1889, und bei den englischen und französischen noch kurze Zeit später zu finden. Immerhin läßt sich auch noch nach Wegfall der Angabe das (spätere) Druckdatum des Vorsatzes aus der jüngsten im Verzeichnis vorkommenden Jahreszahl ablesen. Die Häufigkeit dieser Jahreszahl kann sogar auf einen ungefähren Zeitpunkt im Jahresablauf schließen lassen.

Mit einer chronologischen Anordnung der Vorsätze bzw. deren Kopien läßt sich nun ein interessantes Bild über die Tätigkeit des Verlages gewinnen. Sie müssen häufig im Jahr, aber nicht jeden Monat, verändert worden sein. Durch die neu hinzukommenden Beschreibungen der 80er und 90er Jahre im Raum sehr knapp geworden (wodurch sich manchmal die Titel aufgrund des Platzmangels sehr verkürzten) werden ab 1906 die Vorsätze wieder auf beiden Innenseiten bedruckt und die Titel neu geordnet. Um den nun überreich vorhandenen Raum zu füllen, sind nicht nur wieder die vollen Titel bis auf den letzten Beistrich wiedergegeben, man kündigt in den deutschen Vorsätzen, um die es ja hier in erster Linie geht, auch die Teile der fremdsprachigen Produktion an, die nicht in deutsch erscheinen (Frankreich-Bände) und gibt Verweisungen bei Teilgebieten. Die letzten Vorsätze vor Einstellung der Herausgabe neuer Ausgaben im 1. Weltkrieg enthalten einen Band "Mittel-Italien, 15. Auflage 1914", später "1915", der nicht mehr zur Auslieferung gelangte. Der Verlag, der schon mit der Ausgabe "London" 1915 (englisch) "Feindesland" beschrieben hatte, dürfte davon abgehalten worden sein. Nach der durch den Weltkrieg bedingten Pause erschienen 1919 als erstes unveränderte Neudrucke der vier Frankreich-Bände und von Canada.

Auch die nun folgende Inflation findet auf den Vorsätzen ihren Niederschlag. Bis zur Steigerung der Bücherpreise auf ca. 100 Mark werden die Bände noch ausgepreist; später (1922) werden die Angaben weggelassen und Ende 1923 weist man auf einen im Buchhandel zu erfragenden Multiplikator eines angegebenen Grundbetrages hin. Ab 1924 finden sich wieder Preisansätze in der neuen Goldmark, die später in Reichsmark umbenannt wird.

Das Studium der Vorsätze von 1919 bis 1943 ist besonders aufschlußreich über die Lieferfristen der verschiedenen Letztauflagen. Da das Verlagsprogramm nun einen Schwerpunkt auf die Schilderung der deutschen Landschaften setzte und verschiedene Beschreibungen fernerer Gebiete auslaufen ließ, kann man aus der Dauer der Lieferbarkeit dieser Bände ungefähre Schlüsse auf die Größe der Auflage bzw. Verkaufserfolg des Buches ziehen - genauere Angaben über Auflagenhöhen sind ja 1943 im Bombenkrieg zerstört worden. Ohne hier auf Einzelheiten einzugehen, sei nur auf Indien 1914 hingewiesen, eine Einzelauflage, die extrem lange (bis 1943) erhältlich war. Das Fehlen einer Zweitauflage spricht für einen mäßigen Verkauf, wobei das Buch wohl selten zur praktischen Verwendung erstanden wurde.

Am Beginn des Jahres 1932 sah sich der Verlag zu einer generellen Preisreduktion veranlaßt, und zugleich ist auf den Vorsätzen wieder der alte Brauch des genauen Druckdatums eingeführt; er sollte sich mit einer kurzen Unterbrechung 1939 noch bis Anfang 1942 halten. Die 1942 und 1943 gebundenen Bände geben nur mehr das Jahr und den Vermerk "z.T.. vergriffen" an. Ab August 1941 ist die Letztauflage Rußland (7./1912) nicht mehr erhältlich, zweifelsohne nicht nur aus verlegerischen Gründen.

Die baedekerschen Vorsätze mit dem Verlagsprogramm hat kein anderer der konkurrierenden großen Reiseführerverlage (Meyer, Grieben, Woerl, Hartleben) in derartiger Konsequenz und Genauigkeit durchgehalten. Sei es, daß Jahresangaben dort ganz fehlen oder verwässernd zu einer gleichen Auflage aktualisiert wurden, oder daß man Angaben über die Ausstattung nur sehr kursorisch setzte; der Verlag Baedeker war ihnen allen mit seiner Pedanterie "um eine Nasenlänge" voraus.

Reinhard Öhlberger

Reinhard Öhlberger: Die Lieferverzeichnisse als Quelle
In "Mitteilungen für Baedeker-Freunde" Heft 3, S. 20-24
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1981)

Ergänzung zu obigem Aufsatz:

Die Eigenwerbung in Form des Doppelblattes "Auszüge aus Rezensionen" beginnt schon 1855 (s. Südbayern..., 6.A./1855); zur Frage der Werbung und des Verkaufs der Murray'schen Handbücher darf zu dem obigen ausgezeichneten Aufsatz folgendes bemerkt werden: In Verlagsanzeigen im "Börsenblatt" weist K.B. darauf hin daß er das "Handbuch für Reisende durch Deutschland..." nach dem Murray'schen "Northern and Southern Germany" vorgenommen hat ("Börsenblatt", Heft 21/1841). In Heft 14/1842 kündigt K.B. sein Handbuch über die Schweiz an: "Nach eigener Anschauung und den Handbüchern von Murray, Joanne u.A. bearbeitet." In Heft 56/1846 bietet K.B. zum Verkauf den Band "Handbook for Travellers in France" von Murray aus dem Jahre 1844.

Murray selber schreibt selber in seiner 7. Auflage von 1855 des Bandes "Handbook for Travellers in Southern Germany": "The German translation, with improvements, of the Handbook, by Baedeker, Coblenz, has furnished the Editor with many corrections." (Vorsatz S. V). K.B. ist als Händler für Koblenz im Händlerverzeichnis angeführt.

In einem späteren Heft werde ich über Zusammenhänge zwischen den einzelnen Verlegern berichten. Sie waren zwar Konkurrenten, aber als Ergänzung ihres eigenen Programms nahmen sie dann wieder Konkurrenzprodukte auf.

Alex Hinrichsen

Karte des Rheinthales und der Eisenbahnen von BaselTable of contentsVorwort des Herausgebers

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