Mitteilungen für Baedeker-Freunde, Heft 4 / 1982

Verlag Karl Baedeker

von Hans Baedeker

(erschienen im Leipziger Jahrbuch 1940)

Als der junge Buchhändler Karl Baedeker, der einer alten westfälischen Buchdruckerfamilie entstammte, als Sechsundzwanzigjähriger im Jahre 1827 seine Vaterstadt Essen verließ, um sich in Koblenz selbständig zu machen, war Essen eine bescheidene Landstadt von etwa 5000 Einwohnern, die einem weltoffenen und unternehmenden Manne keinerlei Aussichten zu bieten schien. Koblenz dagegen war vor fünf Jahren Hauptstadt der Rheinprovinz geworden, war Sitz eines Generalkommandos und hatte eine starke Garnison. Hier eine gute Buchhandlung zu gründen, mußte Erfolg bringen. Aber Koblenz war außerdem eine Fremdenstadt, Brennpunkt des internationalen Reiseverkehrs, der seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auf dem Rhein nach der Schweiz und Italien führte, und gerade im Jahre 1827 eröffnete die Preußisch-Rheinische Dampfschiffahrts-Gesellschaft den ersten regelmäßigen Personenverkehr zwischen Köln und Mainz. 1828 erschien bereits ein bescheidener Führer für die Fahrt: die "Rheinreise von Mainz bis Cöln, Handbuch für Reisende" des Professors J.A. Klein. Karl Baedeker erwarb den Verlag und machte sich selbst an die Neubearbeitung. Mit klarem Blick erkannte er, worauf es dem Reisenden ankam, und schon die 1835 erschienene zweite Auflage zeigte überall seine bessernde Hand. Karl Baedeker wollte, wie er selbst in seinen Vorworten darlegte, seinen Lesern nicht nur angeben, was sie sehen sollten, sondern es ihnen ermöglichen, überall selbständig hinzugelangen, und sie so von der kostspieligen Bevormundung durch Fremdenführer oder "Lohnbedienstete", wie man damals sagte, befreien. Das war der von ihm zum ersten Male durchgeführte neue Gedanke, der seinen Büchern eine bis dahin nicht gekannte praktische Brauchbarkeit verlieh. Reiseführer hatte es im übrigen schon lange vor Karl Baedeker gegeben, von den handschriftlich verbreiteten Pilgerführern des Mittelalters über die Reihenbände des deutschen Topographen Martin Zeiller im 17. Jahrhundert zu dem seit 1801 in vielen Auflagen erschienenen "Passagier" des Gothaischen Kriegsrates H.A.O. Reichard, der wiederum den Engländer John Murray anregte, 1836 das erste seiner berühmten 'Handbooks' herauszugeben. Baedeker aber nahm in seine Bücher nichts auf, was er nicht selber gesehen und erprobt hatte. So weit ging seine Gründlichkeit, daß man in einer Auflage von 1851, wo von der Dampferfahrt von Pole nach Fiume die Rede ist, lesen kann: "Der Schreiber dieser Zeilen hat die Fahrt bei Nacht gemacht und bedauert, von ihr nichts melden zu können." Die erste Eisenbahnfahrt erlebte der allzeit Reiselustige 1838 in Belgien und berichtete darüber an seinen Vater in Essen in einem begeisterten, aber trotzedem charakteristisch sachlichen Brief: "Am 2. Mai 1838 morgens 9 Uhr mit der Eisenbahn nach Mecheln gefahren. Entfernung 6 Postmeilen in 3/4 Stunden zurückgelegt. Welche Lust gewährt das Reisen! Die Gegenstände unmittelbar an der Bahn verschwimmen ineinander. Bei Mecheln ist der Zentralpunkt, wo sich die Wagenzüge aus Gent, Lüttich, Brüssel und Antwerpen zusammenfinden. Ich habe herausgefunden, daß an 2000 und 2500 Menschen auf dem Bahnhof in dem Augenblick zusammen sind. Jeder rennt und sucht seinen Wagenzug, der ihn an den Ort seiner Bestimmung bringen soll. Nach einer Viertelstunde ist alles in seinem Wagen, eine Glocke gibt das Zeichen zur Abfahrt. Die Remorqueurs fangen an zu stöhnen, die Stöße werden immer schneller, so daß man sie zuletzt nicht mehr zählen kann, und dahin fliegt der Zug von 25 bis 30 Wagen, deren jeder 30 bis 36 Personen faßt. Es war noch nicht 11 Uhr, als wir in Brüssel ankamen.

(Fortsetzung in Heft 5)

Hans Baedeker: Verlag Karl Baedeker
In "Mitteilungen für Baedeker-Freunde" Heft 4, S. 23-24.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1982)


Der 1. Weltkrieg, für den Baedeker-Verlag der Anfang vom EndeTable of contentsVorwort des Herausgebers

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