Reiseleben, Heft 7 / 1983

Karl Baedeker II

L. Laurence Boyle (alle Rechte beim Verfasser, die Rechte der Übersetzung bei Alex Hinrichsen)

Nach dem Tode von Ernst Baedeker im Jahre 1861 bestimmten seine Witwe und seine Mutter den ältesten Überlebenden Bruder Karl Edmund Ludwig (geboren am 25. 1. 1837) zum 3. Inhaber der Firma. Er hatte schon seit 1858 dort mitgearbeitet.

Eine der ersten Aufgaben von Karl bestand in der Zusammenstellung des London-Bandes rechtzeitig zur "Great Exhibition" von 1862. Ernst hatte viel in der Vorbereitung für diesen Band während seines Aufenthaltes in London getan; unzweifelhaft stammte von ihm der berühmte Hinweis:

"Auf die Frage, welche Universität der Fremde besuchen soll, oder welche zuerst, rathen wir, im Falle beide besucht werden sollen, den Besuch von Cambridge zuerst an, Oxford nachher; hat der Reisende nur zu einer Zeit oder Lust, so wähle er unbedingt Oxford."

Obwohl Karls Vater die Vorbereitung eines "Handbuch für Reisende nach England" schon im Vorsatz des Bandes "Belgien", 2. Auflage 1843, angezeigt hatte, wurde dieses Buch doch nicht zur Weltausstellung von 1851 fertig. Dafür brachte Carl B. Lorck einen PseudoBaedeker "London im Jahre 1851" heraus. Joseph Lehmann, Herausgeber des "Magazin für die Literatur des Auslandes", machte einen entscheidenden Fehler, als er anläßlich einer Besprechung des Bandes "London und seine Umgebung" (Stuttgart 1862) von Friedrich Bruckmann das Buch von Lorck als einen Baedeker ansah. Da dieser Band 11 Jahre alt war und somit veraltet, war die Hoffnung auf eine Neuausgabe durch Bruckmanns Buch befriedigt worden. Dieses war zuviel für den jungen Karl; er veröffentlichte in verschiedenen Zeitungen seine Verärgerung, die sich in mehr als 250 deutlichen Worten dokumentierte. Folgender Satz war enthalten:

"Den Gebrauch meines Namens als Aushängeschild für jenes Buch hat man sich hier unter Angabe vollständig unwahrer Thatsachen in einer Weise erlaubt, welche mich nöthigt, um Irrtümern von Seiten des reisenden Publikums vorzubeugen, folgende Berichtigung der Öffentlichkeit zu übergeben."

Lehmann veröffentlichte gleichzeitig eine erklärende Entschuldigung. Die Schuld gab er der offensichtlichen Ähnlichkeit in der Fertigung und im Erscheinungsbild des Lorck'schen Buches im Vergleich zu einem Baedeker; einige freundliche Worte wie "der wackere Buchhändler aus Koblenz, der unser persönlicher, hochgeehrter Freund war" und über seinen Sohn schlossen sich an. Als er aber Karls Veröffentlichung gesehen hatte, änderte er seine Aussage wie folgt: "Wir würden darauf dem jungen Manne in verdienter Weise antworten, wenn uns die Achtung vor dem Namen, den er trägt, davon nicht zurückhielte."

Im Jahre 1862 hatte Karl auch Differenzen mit John Murray III. Am 30. Oktober schrieb er, um mitzuteilen, daß Berlepsch eine englische Übersetzung seines gerade erfolgreich veröffentlichten Führers durch die Schweiz vorbereite. In der Tat hatten einige Rezensenten das Buch von Berlepsch in der Darstellung der Einzelheiten besser gefunden im Vergleich zum Baedeker. Dieses Ergebnis beeinflußte ohne Zweifel zunehmend den Standard dieses bekanntesten Baedekers. Karl argumentierte, daß der größte Teil der Auflage des Schweiz-Bandes von englischen Reisenden gekauft wurde. Er würde nun diesen Markt verlieren, wenn er nicht die Gelegenheit bekäme, eine englische Ausgabe als Konkurrenzprodukt zu Berlepsch zu veröffentlichen. Murray wollte nicht einwilligen; in einem erregten Brief vom 12. November zeigte er wenig Verständnis für dieses Problem. Die Verbindung Baedeker-Murray endete zwangsläufig; in der ersten Auflage des Bandes "Switzerland" erklärte Karl, daß

"in the publication of these pages, he is activated by no spirit of rivalry; he treads a path worthily trodden by others, but that path is so broad that many may tread it without detriment to each other" (...er in der Veröffentlichung dieser Seiten nicht vom Geist der Rivalität geleitet werden würde; er betrete lediglich einen Pfad, der schon von anderen benutzt werde. Allerdings sei der Pfad so breit, daß ihn noch viele betreten könnten, ohne sich gegenseitig zu behindern).

Am 4. August des gleichen Jahres 1863 trug sich Karl in die Geschichte des Bergsteigens ein, als von ihm zusammen mit Edmund von Fellenberg und drei Grindelwalder Bergführern zum ersten Mal das Silberhorn (3705m) erstiegen wurde. Am 30. August 1864 unternahmen Anton von Ruthner und er die Erstbesteigung der Ruderhofspitze im Stubai (3472m). Bei der Herstellung der Reisehandbücher entwickelte er neue Ideen und Verbesserungen: Er erhöhte die Anzahl der Worte pro Seite, verzichtete auf die Ansichten und begann im Jahre 1866 Druckaufträge an die Firma Breitkopf & Härtel zu geben. Seine Verbesserungen fanden Anklang und das Veröffentlichungsprogramm wurde nur durch seinen aktiven Dienst an der Front in Böhmen im Krieg von 1866 verlangsamt. Eine ernste und schwächende Darmkrankheit war die Folge seiner Teilnahme am Krieg gegen Frankreich 1870/71. Sie wurde trotz der Behandlung mit Morphium nicht besser. Schließlich wurde er von einem estländischen Arzt geheilt, der ihm alten Portwein ("vintage port") und vorzüglichen Schinken verordnete.

Karl verkaufte den Einzelhandel (das Sortiment) an Friedrich Dankert und Wilhelm Gross zum 1. Januar 1869, denn es war unmöglich geworden genug Zeit beiden Seiten des Geschäftes zu widmen.

Am 1. März 1869 gab Karl bekannt:

"Wenn es in den letzten Jahren trotz aller Anstrengungen vorkam, daß die neuen Auflagen der Reisehandbücher nicht früh genug zur Stelle waren oder gar vorübergehend fehlten, so darf ich von meines Bruders thätiger Beihülfe erwarten, daß diese Übelstände von nun an wegfallen werden."

Sein jüngerer Bruder Fritz war ein gleichberechtigter Juniorpartner und Mitinhaber geworden.

Die nächsten Jahre brachten den Umzug nach Leipzig mit sich; sie werden an dieser Stelle nicht beschrieben. Bevor dieser Umzug, der im November 1873 angefangen hatte, abgeschlossen wurde, hatte Karl begonnen, die Bände "Palästina und Syrien" und "Unter-Ägypten" vorzubereiten. Am 23. Januar 1874 verließ der Leipzig, um Tunesien, Ägypten, Palästina, Syrien und die Türkei zu besuchen. Kurz danach begann er seltsame Briefe an seinen Juniorpartner zu schreiben; er beklagte sich über die Hitze und den Sand; außerdem schrieb er nur sehr unregelmäßig, was den geschäftlichen Angelegenheiten nicht gut bekam und manche Verwirrung stiftete: Nicht nur in Zusammenhang mit der Vorbereitung der neu aufzulegenden Bände und dem Verlangen der Bauleute des Familiensitzes, einen vertrauenswürdigen Ansprechpartner zu haben, sondern auch aus dem Grund, daß Fritz darüber hinaus sehr besorgt war zu wissen, wann Karl zurückkäme, um an seiner Hochzeit teilzunehmen. Diese war um drei Wochen verschoben worden; Karl kam endlich am 17. Juni zurück, nur wenige Stunden vor dem Ereignis.

Bei Karl entwickelte sich eine Geisteskrankheit, die nicht von Anfang an voll erkannt wurde. Sie machte das Zusammenleben für Fritz sehr schwer. Selbst nach Karls Zustimmung aus dem Verlag am 28. Mai 1878 auszuscheiden, mußte er im Hause oder unter Aufsicht gehalten werden, aus Furcht, er würde den Leuten allerhand Dummheiten erzählen. Er war nie verheiratet; seine Schwester Anna Sehmer erkannte er als Bewacher und als engen Freund an. Er starb in einem Sanatorium in Esslingen am 12. Mai 1911. Karl ist in Koblenz neben seinem Vater und seinem Bruder Ernst sowie neben seiner Schwester Anna und ihrem Ehemann Ferdinand Sehmer begraben. (Sollte jemand der Leser eine Aufnahme von Karl B.II haben, oder wissen, wo eine ist, wäre der Autor dieser Zeilen für eine leihweise Überlassung sehr dankbar.)

L. Laurence Boyle: Karl Baedeker II
In "Reiseleben" Heft 7, S. 2-5.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1983)


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