Reiseleben, Heft 7 / 1983

Alex Hinrichsen:

Karl Baedeker II als Bergsteiger, 1. Teil

Am 4./5. August 1863 erstieg Karl Baedeker das Silberhorn im Jungfraugebiet im Berner Oberland. Dieses war sicher keine unbedeutende Leistung in den Jahrzehnten der großen Erstbesteigungen in den Schweizer und Österreichischen Alpen, denn H.A. Berlepsch berichtete in seinem ersten "Wegweiser durch die Schweiz" von 1864: "...liegt das Silberhorn (11.359 F.), zum ersten Mal am 4. August 1863 von Fellenberg und Karl Bädeker erstiegen."

Darüber hinaus wird in den Annalen von der Besteigung der Ruderhofspitze am 30. August 1864 berichtet. Anton von Ruthner war dabei gewesen.

Beide Namen, von Fellenberg und von Ruthner, sind für historisch geschulte Bergsteiger vertraut. Da es aber ungewöhnlich ist, daß ein Reisebücher-Verleger mit diesem Namen in Verbindung gebracht wird - gehört für damalige Zeiten Extrem-Klettern zum Tourismus? - soll hier zuerst in Auszügen aus Baedekers Reisehandbüchern über den Sommer 1863 berichtet werden, dann aus dem Bericht der Erstbesteigung des Silberhorns aus der Feder Edmund von Fellenbergs, und zum Schluß kommt Anton von Ruthner mit der Beschreibung der Erstbesteigung der Ruderhofspitze zu Wort. Eingeflochten sind noch kurze Charakterisierungen der beiden genannten Bergsteigerpersönlichkeiten.

Als Karl Baedeker sich im Jahre 1853 aufmachte, die Schweiz zu bereisen, hatte das Berner Oberland schon bedeutende Erstbesteigungen durch Einheimische und besonders durch Engländer erlebt. Grindelwald kannte berühmte Bergführer, wie z.B. Christian Almer, der noch als 70-jähriger mit seiner Frau die goldene Hochzeit auf dem Gipfel des Wetterhorns im Jahre 1896 feiern sollte. Der Eiger im Jahre 1858, das Wetterhorn im Jahre 1854, das Groß Schreckhorn im Jahre 1861 waren durch die Engländer mit einheimischen Bergführern erstiegen worden. Die Jungfrau war gar zuerst von Schweizern alleine bezwungen worden. Am 3. August 1811 waren die Brüder Meier aus Aarau zum ersten Mal oben; ihnen folgte am 3. September 1812 der Sohn Gottlieb Meier und 2 Walliser; die 3. Besteigung vollführten sechs Männer aus Grindelwald am 10. September 1828. Von der 4. Besteigung finden wir einen ausführlichen Bericht von Prof. James David Forbes (1809-1868) aus Edinburgh in Meyer's Volksbibliothek, Bd. 29 (28. August 1841). Nun soll nur noch die 5. Besteigung erwähnt werden: Friedrich Bürki und Gottlieb Studer aus Bern mit 4 Führern. Gottlieb Studer (1804-1890), später Regierungsstatthalter in Bern, hatte in Edmund von Fellenberg (1838-1902), Bergbauingenieur mit sorgfältiger geologischer Ausbildung in Bern, London, Berlin und Freiberg/ Sachsen, die Liebe zu den Berner Alpen geschärft. Mit Abraham Roth erstieg er im Jahre 1862 das Doldenhorn (3647m) und die Weisse Frau (3670m) oberhalb Kandersteg. Im Jahre 1863 traf er dann Karl Baedeker (der noch im gleichen Jahr die Besteigung Doldenhorn/Weisse Frau in seinem Verlag erscheinen ließ).

Lassen wir nun Karl Baedeker zu Wort kommen (Die Schweiz..., 15.A./1873, S. 120 f.):

"Das Silberhorn wurde am 4. Aug. 1863 von Edm. v. Fellenberg und dem Verfasser d.B. mit den Führern Pet. Michel, Hans Baumann und Peter Inäbnit von Grindelwald zum ersten Mal erstiegen.

Die Expedition nahm die Richtung (3 U. 55 Min.) vom Hotel Bellevue... über den Eiger- und den ganzen Mönch- (oder Guggi-)Gletscher hinauf, rechts über das Schneehorn (auch zum 1. Mal bestiegen, Anm. des Verfassers) und dann quer über die nördl. Abdachung der Jungfrau, und erreichte 4 1/2 U. Nachm. die Spitze des Silberhorns. Die folgende Nacht wurde wachend an der steilen östl. Wand des Schneehorns zugebracht (vgl. Jahrbuch des S.A.C. 1864)."

Weiter berichtet Baedeker noch von dem guten Ruf der Grindelwalder Bergführer: "Von dem Verfasser erprobt sind: Peter u. Christen Michel, Peter Inäbnit, Joh. Baumann u. Peter Bohren; gleich empfehlenswerth sind: Chr. Almer; Peter Egger; auch Ulrich Kaufmann, Peter Rubi u. Peter Baumann sind gut." Dann wird in einer Fußnote zu dieser Seite noch folgendes Buch zum Vergleich zitiert:

"Das Hochgebirge von Grindelwald. Naturbilder, Bergtouren etc. von Aeby, Fellenberg und Pf. Gerwer in Grindelwald...."

Schon sein Vater hatte von dem Bergführer Peter Baumann als empfehlenswert berichtet (Die Schweiz..., 4.A./1852). Christian Almer war auch schon erwähnt worden.

Mit Pfarrer Gerwer aus Grindelwald hatte er mit anderen Bergsteigern in den letzten Tagen des Monats Juli 1863 das Wetterhorn (3708m) erstiegen. Die drei Namen Fellenberg, (Prof.) Aeby und Pf. Gerwer finden wir ein Jahr später wieder bei der 2. Besteigung des Schreckhorn (4080m) am 4. August 1864 (vgl. z.B. dazu Meyer's Reisebuch Schweiz, 9.A./1877).

Baedeker hatte aber noch mehr vorgehabt in diesem Jahr 1863. Über Meiringen, den Grimsel hinauf (2165m), am Rhone-Gletscher vorbei, über die Furka (2436m) ins Ursern-Tal, am Kloster von Disentis vorbei eilte er nach Chur, der Hauptstadt Graubündens. Sein Ziel war Pontresina im Engadin, am Fuße des Piz Bernina. Ob Baedeker mit Extrapost reiste oder nach Fahrplan fuhr, ist nicht mehr bekannt. Nach den Angaben im Führer von 1863 brauchte er aber mindestens 63 Std. reine Wegzeit. Am 16. August erstieg er mit Peter Jenny und Alexander Flury als Führer aus Pontresina den Piz Bernina (4052m). Stolz vermerkt Baedeker auf S. 338 der 15.A. von 1873, daß es die 4. Besteigung dieses Berges war nach 1850, 1858 und 1861. Peter Jenny wird von ihm in seinen Reisehandbüchern mit anderen als Bergführer empfohlen; Alexander Flury hatte in Pontresina ein Photogeschäft.

Die letzte Augustwoche war der Erkundung der Verbindungswege vom Saastal nach Zermatt vorbehalten. Der Weg zurück war - die reine Wegzeit von 46 Std. gesehen - bis jenseits der Furka gleich wie die Reise ins Engadin. Dann ging es über Brig, Visp nach Saas in nochmals 18 1/2 Std. reiner Wegzeit.

In der 9. Auflage von 1863 heißt es, daß die Überquerung über den Adlerpass diejenige über das Weißtor an prachtvollen Aussichten übertreffen soll. Nachdem Karl Baedeker alle drei Wege über den Adlerpass, über das Weißtor und den Alphubel ausprobiert hatte, lautete sein Urteil:

"Verf. ...kann sich aber dem Ausspruch vieler Reisenden, daß ersterer (Adlerpass, Anm. des Verf.) an Großartigkeit die beiden anderen übertreffe, nicht anschliessen..." (Vgl. S 272 der 15.A./1873).

Diese Überquerungen waren keine Selbstverständlichkeit, sie erforderten Kondition in Gletscherbegehungen und gute Führer. Baedeker überschritt alle drei Pässe in einer Woche, d.h. er muß eine sehr gute Kondition gehabt haben. Jede Überquerung dauerte zwischen 10-15 Stunden, je nachdem, in welcher Richtung sie vorgenommen wurde. Zum Abschluß eines überaus reichen Bergsteigerjahres erstieg er noch am 13. September 1863 die Dufour-Spitze (4638m) im Monte-Rosa-Massiv. Die Besteigung von der Zermatter Seite wird genau beschrieben, sogar mit Frühstückspause, und unterteilt in gefährliche und ungefährliche Abschnitte: "Die letzte Strecke, über Felsen erfordert ausserdem einige gymnastische Fertigkeit."

Ein Vergleich der 9. mit der 15. Auflage zeigt, wie intensiv Baedeker die Schweizer Bergwelt durchstreift hatte, das Bergsteigen gehörte für ihn - so scheint es - zum Selbstverständnis. Die wiedergegebenen Angaben sind sicher der beste Ausdruck dafür. Eigene Anschauung war auch hier die beste Grundlage. Deshalb findet man auch einmal den Hinweis, daß der Autor im Jahre 1865 vergeblich versucht hatte, das Finsteraarhorn von der Ostseite zu ersteigen (vgl. S. 139 der 15.A.). Derzeit unverständlich ist, warum sich in den Österreich-Bänden keine Hinweise auf die dortigen Besteigungen finden. Die Ruderhofspitze wird überhaupt nicht erwähnt. War das Stubai in der Gunst den Schweizer Alpen unterlegen?

Der 2. Teil gibt Einzelheiten aus den Berichten der Herren von Fellenberg und von Ruthner wider, wie eingangs erwähnt.

Alex Hinrichsen: Karl Baedeker II als Bergsteiger
In "Reiseleben" Heft 7, S. 22-26.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1983)


KritikTable of contentsVerlag Karl Baedeker, Schluß

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