Reiseleben, Heft 10 / 1985

Was läßt sich für den Laien an einem defekten Baedeker restaurieren?

Reinhard Öhlberger

- ein geschäftsbewußter Restaurator würde sagen: Nichts. Ohne aber gleich diesen Herren das Handwerk legen zu wollen, wäre eine gewisse Kosmetik für Bände, die nur auf den ersten Blick sehr beschädigt aussehen, durchaus als auch für Sammlerhände möglich in Betracht zu ziehen. Was für uns nicht oder nur mit besonderen Fähigkeiten reparabel ist, das ist leicht abzugrenzen: Bei einem geplatzten Buchrücken oder wenn der Block innen aufgebrochen ist, haben wir kaum eine Chance; ein durch Wasser beschädigter Einband verursacht auch dem Fachmann Kopfzerbrechen; und stark angerostete Heftklammern, wie bei den Bänden um 1920 häufig, lassen oft eher ein Nachbinden des ganzen Buches ratsam erscheinen. Was man aber mit einem bißchen Geschick und wenig Hilfsmitteln bewerkstelligen kann: Lose Pläne einzukleben,, Risse an Seiten oder Plänen zu kleben, schlechte Faltungen auszustreichen und auf die ursprünglichen zurückzuführen, angestaubte oder beklebte Buchdekkel zu säubern; das wird die Freude an der eigenen Sammlung nicht unwesentlich erhöhen.

Als Werkzeug seien genannt: Briefmarkenpinzette; Nadel, am besten mit Holzgriff (Botanisiernadel); weicher Pinsel; Lineal mit Metallkante; ein steifes dünnes Karton- oder Plastikbrett, deutlich größer als Kleinoktav; scharfes Messer mit auswechselbaren Klingen (Tapeziermesser); weiche Schneideunterlage; ca. 25 cm lange Papierstreifen und Papiertaschentücher, beides in größerer Menge; Kaltleim bzw. dünner Mehlteig. Von Klebebändern jeglicher Art und Allesklebern ist entschieden abzuraten.

Manchmal finden sich beim Durchblättern eines noch ungebrauchten Bandes die Rückseite einer Karte oder eines Planes mit der nachfolgenden Textseite an einem Punkt zusammenklebend, weil dem Buchbinder beim Einkleben der Beigabe ein Leimtröpfchen danebenging. Einfaches Auseinanderziehen kann hier oft größere Beschädigungen hervorrufen. Die zwischen den Seiten geführte Nadel, die den klebenden Punkt vorsichtig umfährt, hält den Schaden des Papierrisses so gering als möglich.

Immer wieder lassen sich zwei unkomplette Bände derselben Auflage zu wenigstens einem vollständigen Exemplar ergänzen. Eine Gelegenheit dieser Art wahrzunehmen, fördert den antiquarischen Gedanken. Beim Entnehmen des Planes aus dem Buch sollte man das Buch beim ersten Reißen nicht allzu stark aufbrechen; manche der Beigaben sind so tief hineingeleimt, daß auch hier die Nadel wieder gute Dienste leisten kann, indem man sie mehrmals zwischen die zu trennenden Seiten führt. Die Klebestelle des Plans legt man auf einen breiteren und darüber einen schmalen Papierstreifen, so daß nur ein etwa 2mm breiter Streifen in diesem der beiden Papierstücke sichtbar ist, der dann mit Leim bestrichen wird. Beim Einkleben ist zu beachten, daß wieder die ursprüngliche Trägerseite der Beigabe im Buch beklebt wird. - In der Mitte gefaltete Kartenblätter drückt man mit einem dünnen Plastikblatt in das schon geschlossene Buch hinein, damit die Ränder der Karte aus dem Buchblock möglichst nicht hervorstehen. Ist die Beigabe größer beschnitten als das Buch, empfiehlt es sich, anstatt den Rand mit der Schere anzugleichen, ihn auf einer Kartonunterlage, die man ins Buch einschiebt, mit Messer und Lineal abzuschneiden. Die dadurch entfernte Marmorierung, die sich bei geschlossenem Buch als weißer Strich auf dem Buchblock zeigt, läßt sich einfach ersetzen, indem man mit einem weichen Bleistift die Schnittkanten entlangfährt.

Das Kleben der Risse in Textseiten oder Beigaben sollte möglichst mit originalem Papier geschehen. Es eignen sich dazu die Rand- oder Mittelstreifen von besonders schlecht erhaltenen, billig erworbenen Baedekern. Neues, jetzt noch im Farbton gleiches Papier unterliegt der Gefahr, einmal nachzudunkeln; daher ist ein kaputter Materiallieferant möglichst desselben Alters anzuraten. Die Papiertönung und -qualität ist von Band zu Band überraschend verschieden und reicht von Hochweiß der 1860er und 1880er Jahre (die aber wieder verschieden geschöpft wurden) über verschiedene Abstufungen bis zum bräunlich porösen Papier der Zeit nach dem 1. Weltkrieg. Hingewiesen sei besonders auf die bläulich-glasige, sich fett anfühlende Papiersorte der Karten und Pläne von ca. 1904-09. Somit wäre für Restaurierungszwecke ein schlechtes Exemplar aus jeder "Papier-Periode" am besten. - Da die Außenstreifen der Textseiten zum Rand hin oft sehr abgilben, lassen sich die Innenstreifen besser verwenden. Die so gewonnenen unbedruckten Papierstücke schneidet oder reißt man der Form des zu überklebenden Risses nach. Es mag der Rißverlauf auch manchmal zu Kombinieren zweier oder mehrerer solcher Papierstreifen zwingen. Gefaltete Beigaben sollte man nur ganz aufgeklappt kleben, sie dann sofort schließen und pressen, bis der Leim ganz abgebunden hat.

Starke Verfaltungen verschwinden fast ganz nach Befeuchtungen mit Wasser und kurzem Pressen. Die falschen Knicke werden mit nassem Pinsel beidseitig bestrichen, bis sie weich sind; man wischt das Wasser danach gleich wieder ab und legt beim Zusammenfalten in die meist gut ersichtliche Originalfaltung Papiertaschentücher dazwischen. Zum Pressen genügt eine halbe Stunde. Neue Knicke sollte man nur dann herstellen, wenn sie sich durch Risse und Klebungen als unumgänglich erweisen. Manchmal ist die Papierqualität auch der Beigaben so schlecht, daß ein unbedachter Knick das Papier sofort brechen ließe; in diesem Fall hilft es, die präsumptive Knickstelle leicht anzufeuchten.

Stark bestaubte oder beschmutzte Buchdeckel lassen sich ebenfalls mit Wasser und Pinsel reinigen. Nach dem Auftragen, das nur auf einer kleinen Fläche erfolgen sollte, löscht man innerhalb weniger Sekunden, ohne zu reiben, mit einem Papiertaschentuch; es sollte nicht rot werden. Bisweilen genügt es auch, den Staub wegzuradieren.

Bei älteren Bänden, deren Buchblock nur mit zwei Hanf- oder Leinenstreifchen am Einband befestigt ist, brechen die Vorsätze besonders leicht. Es ist nun hier ein Restaurationsversuch nicht unbedingt zu empfehlen. Wenn unbedruckte rechte Vorsatzseiten aus desolaten Bänden vor 1906 vorhanden sind, kann man "zur Zierde" einen vorher gefalteten Streifen über die Bruchstelle kleben.

Beklebte Buchdeckel und Exlibris auf den Vorsätzen lassen sich oft mit reinem, gewärmtem Wasser ablösen. Reste von Plastikklebern am Einband kann man vorsichtig und zeitraubend mit einer Nadel abkratzen, ohne die auf das Leinen aufgetragene Farbschicht zu sehr zu beschädigen. Künstliches Nachdunkeln bzw. "Verschmutzen" dieser gereinigten Stellen ist manchmal notwendig.

Reinhard Öhlberger: Was läßt sich für den Laien an einem defekten Baedeker restaurieren?
In "Reiseleben" Heft 10, S. 12-14.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1985)
ISBN 3-922293-08-5


SchutzumschlägeTable of contents200 Jahre Justus Perthes

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