Reiseleben, Heft 11 / 1985

150 Jahre Deutsche Eisenbahn

von Alex Hinrichsen

In den beiden letzten Heften wurde auf das Jubiläumsjahr mehrfach hingewiesen. - Nun, das Feiern ist am 7. Dezember 1985 zu Ende gegangen, und überall zieht man Bilanz ob des werblichen oder des Verkaufserfolges von Büchern und Souvenirs. Ich möchte Bilanz ziehen in einer subjektiven Art mit den Eindrücken, die ich gewonnen habe, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Erinnerung an die Eisenbahngeschichte und die damit verbundene Reisemöglichkeit. Viele Reisehandbücher bekamen mit der Entwicklung der Eisenbahnstrecken ein neues Publikum, sie stellten sich darauf ein. Neben den Reisehandbüchern entstanden die Fahrpläne, die Kursbücher, die Streckenkarten.; doch wo ist das alles geblieben, wo wurde es gezeigt anläßlich eines solchen Festjahres? Um es gleich vorwegzunehmen, es war wenig, was an Begleitendem dieser letzten 150 Jahre vorgestellt wurde; es regierte die Technik.

Eine Ausstellung in München war einmalig; sie zeigte im Deutschen Museum Fahrkarten, aber ich habe fast die Befürchtung, daß sie eine stille Ausstellung geblieben ist gegenüber dem anderen Spektakel in Nürnberg und Bochum.

Jeder wollte etwas beitragen zum Jubiläumsjahr mit Aufsätzen, Broschüren und Büchern - die Werbeetats bestimmten das Feld. Das Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel veröffentlichte in der Nr. 29 vom 12. April 1985 eine sog. Reportage unter dem Titel: "Am 7. Dezember 1835 fuhr die erste Eisenbahn". Es war aber nur eine "literarische Reise durch die einschlägigen Verlage" mit Buchempfehlungen von Hermann Glaser, einem nicht unbekannten Mann auf dem historischen Felde (Schul- und Kulturdezernent der Stadt Nürnberg; "Maschinenwelt und Alltagsleben, Industriekultur in Deutschland vom Biedermeier bis zur Weimarer Republik").

Viele kennen das umfangreiche Werk zum 100-jährigen Jubiläum aus dem Jahre 1935, das antiquarisch sehr schwer zu finden ist. Eine ähnliche Erwartung stellte ich an das offizielle Werk der Eisenbahn-Lehrbuch-Verlagsgesellschaft mbH, das als Jubiläumsband der Deutschen Bundesbahn angeboten wurde. Der historische Teil des über 300 Seiten starken Buches umfaßt ganze 38 Seiten, alles Andere ist moderne Produktwerbung. Für diesen geschichtlichen Teil gewann man Toni Liebl, der eine hervorragende Dissertation über die Eisenbahnstrecke München-Augsburg geschrieben hatte. Für mich war die Enttäuschung groß! Im Gegensatz dazu steht das zweibändige Werk "Zug der Zeit - Zeit der Züge", erschienen im Siedler Verlag, München. Hinter dem Verlag stand die Ausstellungs-Gesellschaft der Bundesbahn aus Nürnberg. In 72 Aufsätzen wird ein breites Spektrum des Reizes des Eisenbahnzeitalters aufgezeigt mit Themen wie:

"Mensch und Maschine", "Das Reisesystem der Postkutsche", "Aufbruch in das Industriezeitalter", "Lebensadern der Wirtschaft", "Die Zeit der Verfolgungen; die preußischen Eisenbahnerverbände 1878-1914", "Grüße von unterwegs; Geschichte der Eisenbahn - Bildpostkarte", "Reisen mit der Eisenbahn", "Die Mobilisierung des Menschen".

Die Illustrationen tragen sehr zum Verständnis des Inhaltes bei, einschließlich des HAUPTMOTIVES DER der Ausstellung, des "Zeit"-Zuges vom Adler bis zum letzten Waggon aus der beginnenden Wohlstandsgesellschaft der Nachkriegszeit.

Neben der vielfältigen Werbung der Bundesbahn und der Stadt Nürnberg in Faltblättern, Zeitungen, mit Puzzles und Aufklebern erschienen viele Zeitungsartikel (eine Auswahl nachstehend):

1. Die ZEIT Nr. 18/26.4.85: "Wohin die Räder auch rollen";

2. FAZ Nr. 106/8.5.85: "Von fauchenden Dampfrössern zu summenden Alleskönnern"

3. FAZ Nr. 130/8.6.85: "Am liebsten mit der Eisenbahn; vom richtigen Reisen"

4. Handelsblatt Nr. 121/28./29.6.85: "Von kurhessischen Drachen zum Intercity-Experimental; 175 Jahre Henschel - 150 Jahre Deutsche Eisenbahn";

5. FAZ Nr. 266/15.11.85: "Es grunzte und quiekte aus der Regentalbahn; Zugparaden und die größte Fahrzeugschau Europas im Jubiläumsjahr der Eisenbahn";

6. FAZ Nr. 285/9.12,85: "Reisegenuß, am Reißbrett geplant".

Die Beilage der WELT, der "Weltreport" Nr. 50 vom 15.5.85 beschäftigt sich auf 32 Seiten mit dem Jubiläum. DIE SCHÖNE WELT, Kundenzeitschrift der Deutschen Bundesbahn, veröffentlicht in einer Serie "Die ersten Bahnen der Welt" Streckenhistorisches. Im November-Heft wird die Strecke Brüssel-Mecheln in Wort und Bild vorgestellt. Der Abschluß dieses Artikels lautet:

"1838, das belgische Netz wuchs, fuhr ein junger deutscher Verleger mit der Bahn von Antwerpen nach Mecheln. Es war seine erste Reise auf Schienen. In einem begeisterten Brief an den Vater schilderte er am selben Abend alle Vorzüge, von-. der Bequemlicheit über die Schnelligkeit bis zum Preis, und schloß: "Welche Lust gewährt das Reisen!" - Der Tourist hieß Karl Baedeker. Er wurde zum Schöpfer der klassischen Reiseführer."

Bevor ich noch auf die Ausstellung in Nürnberg eingehe, eine amüsante Reminiszenz am Rande: Vor 150 Jahren fuhr die erste öffentliche Eisenbahn mit Personen- und Frachtbeförderung zwischen Nürnberg und Fürth. Es gesellten sich - wie bekannt - viele weitere Strecken hinzu, zuerst unter privater Initiative, und ab 1838 auch als Staatsbahn (Braunschweig-Wolfenbüttel). Heute haben wir in der Bundesrepublik Deutschland die Bundesbahn, in der DDR die Reichsbahn. Privatbahnen gibt es kaum noch, im Gegensatz zur Schweiz. Wie heißt nun die Bezeichnung des Jubiläums richtig? 150 Jahre Deutsche Eisenbahn? 150 Jahre deutsche Eisenbahnen? 150 Jahre Deutsche Eisenbahnen? Eigenname? Gattungsbegriff? Alle Variationen wurden in den Publikationen verwendet:

150 Jahre Deutsche Eisenbahn
150-Jahrfeier der deutschen Eisenbahnen
150 Jahre Deutsche Eisenbahnen
150 Jahre DEUTSCHE EISENBAHNEN
150 Jahre Eisenbahn
150jähriges Jubiläum der deutschen Eisenbahnen
150 Jahre Deutsche Eisenbahn
150 Jahre deutsche Eisenbahnen
150 Jahre Eisenbahn in Deutschland

Nun zur Ausstellung in Nürnberg:

Es waren drei Ausstellungen, die gleichzeitig in Nürnberg angeboten wurden:

- a) "Zug der Zeit - Zeit der Züge" auf dem Gelände des ehemaligen Eisenwerkes "Tafel" in der Nähe des Bahnhofes Nürnberg-Ost;

- b) die neu gestaltete Ausstellung im Nürnberger Verkehrsmuseum;

- c) "Leben und Arbeiten im Industriezeitalter" im Germanischen Nationalmuseum.

Ein Vorprospekt versprach in der Ausstellung "Zug der Zeit - Zeit der Züge" Anfänge der Eisenbahn darzustellen, die Beschäftigung mit den Gründerjahren, die Eisenbahn in unserem Jahrhundert vorzuführen, die Kulturgeschichte der Eisenbahn und das Thema "Mensch und Maschine" näher zu beleuchten. Eine Modelleisenbahnschau, alte Schilder und Lampen und Eisenbahnliteratur "in voller Breite und Tiefe" sollten eine Abrundung geben.

Wer gehofft hatte, einen Zusammenhang in der Ausstellungskonzeption zwischen der Eisenbahn und dem Germanischen Nationalmuseum mit der Ausstellung "Leben und Arbeiten im Industriezeitalter" zu finden, wurde enttäuscht - getrennter Obolus für den Eintritt – getrennte Kataloge - hie der Versuch mit Souvenirs das große Geschäft bei der Bundesbahn zu machen (für die Modelleisenbahnanlage innerhalb des Geländes mußte extra bezahlt werden) - dort (im Germanischen Nationalmuseum) ein Einblick in die Entwicklung der Industriegesellschaft auf sachlich hohem Niveau. Hier ein mäßiger Ausstellungsführer (das vorher erwähnte 2-bändige Werk im Verlag Siedler bezieht sich nicht auf die Ausstellung) - dort ein wissenschaftlich und anschauungsmäßig hervorragend aufgebauter Katalog mit ergänzenden Beiträgen. Hier eine nur zum Teil fertige Ausstellung, die vermutlich im konzeptionellen Widerstreit gelegen hatte - dort eine zum Teil notwendige Darstellung zum Verständnis der Eisenbahngeschichte, die Industrie- und Sozialgeschichte ist.

Die "Geschichte rund um die Eisenbahn" war meiner Erkenntnis nach in jeder Beziehung zu kurz gekommen - in dieser Ausstellung ging es in erster Linie um die Darstellung der modernen Bundesbahn als Werbung - und dafür mußte man Eintritt bezahlen. Die Schau der alten Lokomotiven und Waggons war hervorragend, aber wenn nicht die Eisenbahnvereine ihr Material zur Verfügung gestellt hätten, hätte diese Schau nicht stattfinden können. Die Leistungsschau der Bundesbahn verpflichtet sie, aber die Ausstellung in Nürnberg als "ideale Möglichkeit für einen Geschichtsunterricht 'live'" angeboten zu haben, ging leider daneben. Trotzdem war die Reise nach Nürnberg nicht umsonst, nur unter dem Gesichtspunkt des Reisens hatten wir zuviel erwartet. Auch wir kehrten heim mit reichlichen Souvenirs - allerdings keine Baedeker oder schöne alte Eisenbahnkarten.

Noch einmal zurück zur Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum:

Die Vorinformation erläuterte in einer Zeittafel die Bereiche Staatsform, politische und wirtschaftliche Ereignisse, Gesetzgebung, die Arbeiterbewegung, Kunst und Kultur, technische Erfindungen, Ausstellungen und Firmengründungen. - Eine Abteilung der Ausstellung war dem Thema "Eisenbahn und Industrialisierung" gewidmet, eine andere den Anfängen des modernen Straßen- und Luftverkehrs. Breiten Raum nahm die Entwicklung der Fabriken, die damit entstehenden sozialen Konflikte und das Wachstum der Städte ein. Als Beispiele waren Stadtpläne und Karten gezeigt, die die Verstädterung nachvollzogen. In den alten Reiseführern war das garnicht so ersichtlich, weil das Wachsen der Industrievorstädte sich abseits des zu Besichtigten vollzog

Bibliographie: "Zug der Zeit - Zeit der Züge; ein Führer durch die Ausstellung; Hrsg. Eisenbahnjahr Ausstellungsgesellschaft mbH, Nürnberg 1985, 64 S., broschiert;
leben und arbeiten im Industriezeitalter, 684 S., Stuttgart 1985.

Alex Hinrichsen: 150 Jahre Deutsche Eisenbahn
In "Reiseleben" Heft 11, S. 2-5.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1985)
ISBN 3-922293-09-3


Vorwort des HerausgebersTable of contentsDie neue Bahn

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