Reiseleben, Heft 11 / 1985

Verein zum Schutze deutscher Auswanderer in Berlin

Im Februar 1868 wurde dieser Verein in Berlin gegründet; im November 1868 brachte dieser Verein seine ersten Mitteilungen heraus. Er entsprach einem Bedürfnis, wenn man sich die Zahl der Auswanderer zu jener Zeit vergegenwärtigt: Im Baedeker von Mittel- und Nord-Deutschland von 1869 werden folgende Angaben dazu gemacht: "Nächst Havre ist Bremen der bedeutendste Ausgangspunkt für die Auswanderung nach Amerika: viele Tausende (in den 19 Jahren 1848-67 736.841, die höchste Anzahl 1854 76.875; 1867 73.971) schiffen sich jährlich von Bremerhafen nach Amerika ein, und halten sich vorher oft wochenlang in Bremen oder Bremerhafen auf..."

In Hamburg waren es nach der gleichen Quelle 38.214 Auswanderer im Jahre 1867.

In den Mitteilungen dieses Vereines werden weitere Angaben gemacht: "Nach dem Bericht des Agenten der deutschen Gesellschaft landeten hier im Monat August 18.802 Einwanderer; unter diesen befanden sich 8600 Deutsche, welche in 42 Schiffen ankamen, und zwar aus Bremen in 11 Schiffen 4110, aus Hamburg in 6 Schiffen 2088, die übrigen aus Havre, London, Liverpool und Glasgow. Im Monat August 1867 landeten hier 8743, im August 1866 8107 und im August 1865 8957 Deutsche. In den ersten acht Monaten d.. J,.. 1868 landeten hier 149.210 Einwanderer, einschließlich 72.776 Deutsche, gegen 169.268 Einwanderer, einschließlich 80.000 Deutsche, zur selben Zeit vor. J. - Nach der amtlichen Einwanderungsstatistik des Jahres 1867 hat Deutschland von 242.731 Köpfen 117.591 oder 48,8% nach New-York geschickt, ist also auch von allen Nationen bei den Sterblichkeitsverhältnissen an Bord der Schiffe, welche nach Einschiffungshäfen geordnet, gegeben werden, zumeist interessirt." Dann folgt eine genaue Ausrechnung der Sterblichkeitsrate, unterschieden nach Segel- und Dampfschiffen.

Welche Ziele hatte der Verein (es gab z.B. in Rudolstadt schon eine Auswanderungs-Zeitung)?

...sind zu einem Vereine zusammengetreten, welche den Schutz und die Wahrung der Interessen deutscher Auswanderer zum Zweck hat.

Die Mißstände des heutigen Auswandererwesens sind zu bekannt, als daß es nöthig wäre, sie hier besonders aufzuzählen. Wir beschränken uns daher auf die Angabe der Mittel, durch welche wir glauben, diese Mißstände abstellen zu können.

Wir wollen, wie unser Statut es besagt:

1) Durch Wort und Schrift vor übereilter Entschließung zur Auswanderung warnen, die Verhältnisse, die den Auswanderer in den überseeischen Ländern erwarten, in das rechte Licht stellen, überhaupt in Betreff aller, das Auswanderungswesen angehenden Fragen Aufklärung und Belehrung verbreiten. Hierzu sollen uns vor Allem die Zeitungen und Zeitschriften, Kreis- und Wochenblätter dienen;

2) Denjenigen Auswanderungslustigen, die nach unserer Ueberzeugung den Entschluß zur Auswanderung aus eigenem freien Antriebe gefaßt haben und von demselben nicht ablassen wollen, in Betreff der zweckmäßigsten Art und Weise, denselben zur Ausführung zu bringen, mit Rath und That beistehen.

Wir wollen endlich:

3) mit fremdländischen Vereinen, welche in gleicher Richtung thätig sind (dergleichen bestehen z.B. schon seit längerer Zeit in Amerika und haben dort viel Segen gestiftet), uns in Verbindung setzen, um den glücklich an seinem Ziele angelangten Auswanderer ihrer Fürsorge zu übergeben.

Wir gedenken, diese unsere Aufgaben dadurch noch besser zu lösen, daß wir uns im Bereiche ganz Deutschlands an recht viele wackere Männer wenden, die ein Herz für die Sache haben, in ihren Kreisen Ansehen und Vertrauen genießen und durch ihre Bildung und Lebensstellung befähigt sind, die Lage der Verhältnisse richtig zu übersehen und zutreffende Rathschläge zu ertheilen. Hoffentlich mit Hilfe der Königl. Staatsregierung und der Behörden des Norddeutschen Bundes wird es uns gelingen, bereits in den nächsten Wochen solche Vertrauensmänner in ausreichender Zahl zu finden, um es dem Auswanderungslustigen, möge er wohnen, wo er wolle, ohne große Mühen und Zeitverluste möglich zu machen, sich persönlich bei einem derselben Raths zu erholen."

In der Nr. 2 dieser Mitteilungen muß sich einleitend dieser Verein gegen Angriffe seiner Arbeit wehren. Er wird in einem Artikel "Winkelagenturen und Centralisation der Auswanderer - Beförderung" von der schon zitierten "Allgemeinen Auswandererzeitung" heftig angegriffen. - Zum Abschluß dieses Artikel noch folgendes: "zwischen New York und Deutschland wird heimlich ein empörender Handel getrieben. Bedeutende newyorker Bordelle haben in Hamburg und Bremen ihre Agenten und diese Letzteren annoncieren in deutschen Zeitungen, daß wohlgebildete und durch Ihr Aeußeres sich empfehlende junge Mädchen als Gouvernanten und Gesellschafterinnen in den angesehensten amerikanischen Familien...gesucht und honoriert werden. Viele jungen ... Mädchen sind auf diese Weise in die hiesigen Bordelle gelockt worden.

Verein zum Schutze deutscher Auswanderer in Berlin
In "Reiseleben" Heft 11, S. 29-31.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1985)
ISBN 3-922293-09-3


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