Reisen und leben, Heft 21 / 1991

Touristische Entwicklungen

Tourismuspolitik - Forschung - Arbeitskreis für Freizeit und Tourismus

Wer in den deutschen Großstädten (München, Stuttgart, Hamburg, Berlin) die touristischen Messen besucht, kann gegenüber der Zeit von vor 10 Jahren feststellen, daß die meisten Anbieter mit einem großen Aufwand, hervorragend bunten Prospekten und Katalogen den Reisenden umwerben. Alle Anstrengungen laufen darauf hinaus, zu zeigen, daß man der Beste ist und daß nur das eigene Angebot im Wettbewerb hervortritt. Allenfalls bei Anbietern der neuen Bundesländer merkt man noch das nicht immer bis ins letzte Detail ausgefeilte Marketing, weil man nicht immer alles lupenrein kopiert. Der Tourismus ist längst zu einem mächtigen Wirtschaftsfaktor geworden, bei dem es nur um Umsätze geht. Immer mehr Regionen und Länder gehen dazu über, das Vermarkten den berufsmäßig geschulten Managern zu überlassen. Tourismus-PR und Verkauf ist zum Geschäft geworden, da kommen kleine Regionen nicht mehr mit. Parteipolitik spielt immer stärker hinein; es werden Leitlinien erlassen, aber auch die Schäden des Massentourismus werden nicht mehr nur von einzelnen Rufern in der Wüste (Krippendorf) ernst genommen.

Vor einigen Tagen erhielten wir eine Sammlung von Aufsätzen, die unter dem Titel

Europäische Tourismuspolitik

zusammengefaßt sind. Neben Aufsätzen der Herausgeberin, die Europabgeordnete ist, äußern sich touristische Fachleute zu den Entwicklungen auf dem touristischen Markt unter besonderer Berücksichtigung des kommenden großen Binnenmarktes in Europa. Nicht nur positive Elemente, auch Befürchtungen in der Abschätzung der Entwicklung werden laut. Ob der Urlauber dieses merken wird? Da schreibt der Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes u.a.:

"...daß die EG für den Tourismus, dessen Bedeutung als wichtiger Wirtschaftsfaktor doch zunehmend erkannt wird, noch keine eigentliche Politik entwickelt hat." Ob der Markt eines Tages reguliert und der Reisende in seiner Vielfalt der Möglichkeiten eingeschränkt wird?

Im Aufsatz von Rolf Pagina (Deutscher Reisebüroverband) werden 18 Kriterien zur Umweltverträglichkeit des Tourismus aufgezählt. Welch' ein Gegensatz zu klassischen Baedeker-Zeiten! Welche Bedeutung der Tourismus für einzelne Länder hat, wird am Beispiel von Südtirol aufgezeigt. Im Jahre 1989 sind durch den Übernachtungstourismus dort rund 3 Milliarden DM eingenommen worden. Die Autoren stellen dabei fest, daß "der Tourismus die Berggebiete vor der Verarmung und den entsprechenden Folgen bewahrt" hat.

Soweit ich erkennen konnte, ist direkt in keinem Aufsatz der Reisende in den Vordergrund gestellt worden, bis auf den eben schon erwähnten Beitrag über Südtirol; dort wird gesagt:

"Neuere Untersuchungen haben die positiven Aspekte des Reisens für die Völkerverständigung eindeutig bestätigt und eine klare Korrelation zwischen "Reisen in Europa" und "Europäisches Zusammengehörigkeitsgefühl" festgestellt..." Im vorigen Jahrhundert war es üblich, Reisen zu unternehmen, um Land und Leute kennenzulernen. Nun ist es endlich bestätigt, daß das Reisen auch positive Aspekte dieser Art hervorrufen kann!

Bibliographie: Braun-Moser, U. (Hrsg., u.a.): Europäische Tourismuspolitik. 179 S., Libertas-Verlag, Sindelfingen 1990.

In der Forschung zur touristischen Entwicklung darf hier das

Jahrbuch für Fremdenverkehr

35. Jahrgang/1989 des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Institutes für Fremdenverkehr an der Universität in München vorgestellt werden. Damit soll in dieser Rubrik das Augenmerk auf Untersuchungen gelenkt werden, die Entwicklungen wissenschaftlich untersuchen, damit sie für die praktische Arbeit verwendet werden können. Dieses Jahrbuch stellt vier Arbeiten vor:

a) Hintergründe und Ursachen für die Nachfrage nach Dauercampingplätzen; b) Ablauforganisation in gastgewerblichen Betrieben als Grundlage für den erfolgreichen Einsatz elektronischer Datenverarbeitung; c) die Auswirkungen der Errichtung von Kongreßzentren in kleineren Orten; d) Umweltverträglichkeit und Planungsrecht in bezug auf die Fremdenverkehrsentwicklung in den Gemeinden.

Die erste Abhandlung untersucht eine Fragestellung, die für viele Campingplatzbesitzer von ausschlaggebender wirtschaftlicher Bedeutung ist: Welchen Anteil des von mir zur Verfügung gestellten Areals stelle ich Dauercampern zur Verfügung? Verbaue ich mir Chancen, durchreisende Camper zu bekommen, die durch Werbung in eine bestimmte Region fahren? Wie werden die fixen Kosten gedeckt, die ein Campingplatzbetrieb, der ohne kommunale Zuschüsse arbeiten muß, zu tragen hat? Die Arbeit untersuchte anhand eines Fragebogens bei über 200 Dauercamperfamilien deren Verhalten, Wünsche, Investitionen. Der Autor kommt zu eindeutigen Ergebnissen, welche soziale Gruppe sich dem Dauercamping zuwendet.

Wie oft wundern sich Reisende, wenn sie nach Jahren in einen kleineren Ort kommen, den sie noch als sehr verträumt in Erinnerung haben. Sie finden moderne Einrichtungen vor, die dem Gast dienen sollen, manchmal auch ein größeres Zentrum, das sich Kommunikations- oder Kongreßzentrum nennt. Im dritten Beitrag untersucht die Autorin anhand einer Kosten-Nutzen-Analyse die Errichtung eines solchen Kongreßzentrums in Gmunden/Österreich. Das Abwägen aller positiven und nicht positiven Erkenntnisse, die sich quantifizieren lassen oder auch nur qualitativ beschrieben werden können, kommt zu einer Aussage, die insbesondere bei kommunalen Vorhaben vorher ausgesprochen werden sollte, bevor die politische Entscheidung fällt. Die Arbeit ist als Modell nutzbar, um Entscheidungsträger bei ihren Überlegungen Hilfestellung zu geben. Ob diese sehr positive Arbeit auch dort Eingang findet, wo sich Stadtväter in den Kopf setzen, am Kuchen des Kongreßtourismus teilhaben zu wollen. Es wäre zu wünschen, daß diese Arbeit breit bekannt wird.

Der dritte Aufsatz beschäftigt sich mit Überlegungen zur umweltverträglichen Planung von freizeitorientierten Infrastruktureinrichtungen. In der Problemstellung werden Postulate aufgestellt, die sehr absolut klingen, wie "Das Freizeitverhalten der Bevölkerung muß auf den richtigen Weg gebracht werden." Freizeitverhalten ist so vielfältig, daß nicht nur immer Urlaub damit verbunden sein könnte (z.B. freiwillige Altenpflege - siehe z.B. Analysen von Prof. Opaschowski); außerdem blocken solche Aussagen Diskussionen über Verbesserungen ab. Der vorletzte Absatz des Punktes 3: Entwicklung des Freizeitverhaltens enthält wertende Aussagen, wie "erst vernünftige Einstellungen und Verhaltensweisen", die über einen wissenschaftlichen Ansatz stark hinausgehen. Sachlich verwertbar ist die Beschreibung der Vorgehensweise bei Analyse und der anschließenden Bewertung von Infrastrukturobjekten, wie auch die weiteren Ausführungen. Vermißt wird die Analyse der Ausgangslage von Planungswünschen, die isoliert von raumordnerischen Vorgaben umgesetzt werden (politische Wünsche, z. T. gepaart mit Kapitalverzinsungswünschen).

Fazit: Das Thema ist uneingeschränkt bedenkenswert, diskutiert wird zumindest in ähnlicher Form darüber seit rund 140 Jahren in Zusammenhang mit der Entwicklung des Tourismus.

Bibliographie: Böventer, E.v., Haas, H.-D.: Jahrbuch für Fremdenverkehr. Organ des Deutschen Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts für Fremdenverkehr an der Universität München. 171 S., 35. Jahrgang. Verlag des DWIF München 1989. DM 45,- plus MwSt.

Ähnlichen Arbeiten widmet sich der

Arbeitskreis für Freizeit & Tourismus

an der Universität Innsbruck.

Das letzte Symposium befaßte sich mit folgenden Themen:
Umweltgerechte Ordnung von Freizeitaktivitäten
Ökologische Gesichtspunkte bei der Errichtung touristischer Infrastrukturen Zur Bewältigung unterschiedlicher Nutzungsinteressen von Tourismus und Landwirtschaft
Kulturtourismus - ein Weg zum Erfolg
Die umweltfreundlichen Hotels im Kleinwalsertal
Vom Positiven und Kritischen, von Ängsten und Wünschen: Studie über die Tourismusgesinnung der Vorarlberger Bevölkerung
Ergebnisse der Arbeitsgruppe Tourismus und Gesellschaft
Ergebnisse der Arbeitsgruppe Tourismus und Umwelt

Eine ausführliche Darstellung wird im nächsten Heft vorgenommen.

Touristische Entwicklungen
In "Reisen und leben" Heft 21, S. 30-31.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1991)
ISSN 0936-627X


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