Reisen und leben, Heft 23 / 1992

Reisekultur - von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus

1985 erschien im Prestel-Verlag in München von Heinrich Krohn "Welche Lust gewährt das Reisen!", vier Jahre später von Peter J. Brenner als Herausgeber "Der Reisebericht" im Suhrkamp-Verlag.

Beide Bücher tragen zur Geschichte des Reisens in unterschiedlicher Zusammensetzung bei - hier eine von einem Autor verfasste Geschichte des Reisens - dort unter dem Stichwort der Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur Einblicke in die Reisewelt gewährend. Während Krohn alles selbst erarbeitet hat anhand eigener Recherchen und ihm zugänglicher Literatur, sind bei dem Brenner'schen Buch mehrere Autoren tätig, die das Thema unter zeitlich-reise- historischen Aspekten bearbeiten.

Die Aufarbeitung der Entwicklung des Tourismus ist erst am Anfang, was die Gattung der Reiseliteratur anlangt, aber auch die der neuen Gattungen der Reiseführer und Reiseprospekte. Zur Reiseliteratur sind in letzter Zeit mehrere gute Abhandlungen erschienen, wie z.B. der eben erwähnte Sammelband von Brenner (wenn auch bei einigen Autoren erhebliche kritische Anmerkungen nötig sind) oder die Untersuchungen von Schwarzwälder zur norddeutschen Reiseliteratur bis 1650 (ein zweiter Band soll folgen) oder die Bremer Neuen Beiträge 1-3 von Griep/Jäger. Zu der zweiten Gattung ist bisher relativ wenig erschienen - vielleicht, weil der wissenschaftliche Wert der Inhalte noch wenig erkannt wird, vielleicht aber auch, weil bisher an keiner deutschen Universität dazu fachliche Kapazitäten vorhanden sind. Dem Institut für Tourismus an der FU Berlin gebührt aber das Verdienst, in einigen ersten Symposien sich an die Aufarbeitung der Entwicklung des Tourismus zu machen (ein Sammelband zu den ersten Referaten wird erwartet). Der Verlag Ursula Hinrichsen hat bisher vier Symposien abgehalten, die sich mit der Geschichte der Reiseführer beschäftigen, ein 5. Symposium bzw. Treffen dazu ist für Mai 1992 in Leipzig geplant. Ein weiteres Symposium fand in Eutin statt, das ganz hervorragende Vorträge enthielt, zu denen auch ein Sammelband erscheinen soll.

Nun liegt dem Rezensenten ein weiterer Band zur Geschichte des Reisens vor, und zwar herausgegeben von Hermann Bausinger, Klaus Beyrer und Gottfried Korff.

Dieser Band geht ähnlich wie der Brenner'sche unter Oberbegriffen in von über 40 Autoren verfaßten Kurzartikeln auf die Entwicklung des Reisens ein. Es werden - (fast) alle Facetten des Reisens abgehandelt, wobei nicht ganz klar zu erkennen ist, ob der wissenschaftliche Anspruch oder das Kurzweilige, Unterhaltende im Vordergrund stehen soll. Ich würde ihn eher der unterhaltenden Lektüre zuordnen, wenn auch der wissenschaftliche Anspruch nicht fehlt. Aber die Abschnitte sind z. T. für einzelne Themen zu kurz, als das sich eine wohldurchdachte Ausbreitung einzelner Aspekte befriedigend darstellen läßt (Beispiel: Reisen in die Schweiz). Einige Aufsätze sind von den Autoren schon publiziert worden und für diesen Band aufbereitet. Schade ist es, wenn Veröffentlichungen nicht nach den neuesten Erkenntnissen dahingehend überarbeitet werden, daß sie eine Weiterentwicklung erkennen lassen (Bsp.: Der Reisende ist dem Philosophen ...Über Apodemiken und Reisehandbücher). Auf S. 40, zweiter Absatz, steht eine allgemeine Floskel, die auch in der Anmerkung 6 nicht ganz richtig ist (1988 schon einmal kritisch vom Rezensenten beleuchtet). Aber auch die Erläuterungen auf S. 341 ff. sind zum Teil ungenau und oberflächlich, weil nicht im Detail mit den erwähnten Objekten und der vorhandenen Literatur dazu auseinandergesetzt. Eine dritte Anmerkung darf die Vermutung ausdrücken (zu S. 356, Anm. 4 zu "Pilgerfahrten"), daß der Autor die Werke Martin Zeillers nicht kennt, da sie mit Pilgerfahrten nichts zu tun haben; was heißt "...zahlreiche Auflagen..."?

Die Fülle der Aufsätze zeigt, daß das Reisen schon immer einen erheblichen Einfluß auch auf die Literatur hatte. Ob es sich nun um Reisen zu geschäftlichen. Zwecken oder aus der Not geboren (Auswanderer) oder aus reiner Lust handelte, die Vielfalt in diesem Sammelband ist spannend und unterhaltend. Sicher fehlen einige Namen (wie z.B. Engelbert Kaempfer, der Japanreisende, oder Ida Pfeiffer, die im 19. Jh. ausführliche Reisen unternahm und darüber viele Bücher schrieb - es gibt sie auch heute noch), das sollte aber den Leser nicht daran hindern, Vergnügen bei der Lektüre zu empfinden.

Der Aufsatz auf S. 207 ff. ist von der Überschrift her unverständlich, erst der Inhalt zeigt die Bedeutung bei der Quellennutzung, in diesem Fall unter sozialkritischen Aspekten. Dem Leser wird die Mischung von Einblicken in das Reisen unter dem Gesichtspunkt der technischen Möglichkeiten, der Erfahrungen und der Beobachtungen aber auch der gefühlsmäßig zu verarbeitenden Eindrücke nicht nur 'ablesen', sondern ab und zu wieder zur Hand nehmen. Somit ist dieser Band nicht nur eine Fortsetzung der beiden zuerst genannten Bücher, sondern eine eigenständige Darstellung mit dem offensichtlichen Wunsch, den Leser zu unterhalten und nicht dem Spezialisten neue Erkenntnisse zu vermitteln.

Der abschließende Aufsatz beschäftigt sich nachdenklich mit der Entwicklung des Tourismus der Postmoderne, die uns leider schon viel Kopfzerbrechen bereitet.

Ein ausführlicher Anhang zu den einzelnen Aufsätzen, verbunden mit einer allgemeinen Auswahlbibliographie sowie einem Orts- und Personenregister beschließt den Band.

Bibliographie: Bausinger, H./Beyrer, K./Korff, G.: Reisekultur, von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus. 413 S./1 nn. BI., mit 103 Abbildungen, Leinen, Schutzumschlag, Verlag C.H. Beck, München 1991, ISBN 3-406-35502-1, 68,- DM.

Reisekultur - von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus
In "Reisen und leben" Heft 23, S. 23-24.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1992)
ISSN 0936-627X


Literatur-Liste zur Geschichte des Reisens, 2. TeilTable of contentsBaedekeriana

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