Reiseleben, Heft 6 / 1983

Alex Hinrichsen:

Der älteste deutsche Reiseführer wurde 350 Jahre alt

Im ausgehenden 20. Jahrhundert ist es für sehr viele Menschen zu einer Selbstverständlichkeit geworden, eine Urlaubsreise zu unternehmen.

Ob mit Auto, Flugzeug, Eisenbahn oder Schiff Entfernungen überbrückt werden, ist zu einer Frage der Zweckmäßigkeit oder des individuellen Verhaltens geworden. Die Freizeit erlaubt es dem Westeuropäer oder dem Nordamerikaner, ausgedehnte Reisen um den halben Erdball in 3,4 Wochen mitzumachen. Die Informationen dazu besorgt man sich im Reisebüro und in der Buchhandlung. Prospekte, Reisekataloge, Fahr- und Flugpläne werden durch Reiseführer ergänzt. Die Auswahl ist so vielfältig, daß sich der Buchhändler über Spezialkataloge informieren muß, um beratend tätig werden zu können.

Wer denkt noch daran, wie vor 50, 60 Jahren oder gar vor 100 Jahren gereist wurde, wenn man es sich leisten konnte. Vor 150 Jahren fuhr die erste Eisenbahn von Linz nach Budweis auf einer 129 km langen Schmalspurbahn als Pferdeeisenbahn. Schon im Jahre 1830 hatte man in Österreich eine Bahn von Prag nach Lahna in Betrieb nehmen wollen, leider aber die Steigungen falsch berechnet. Vor 150 Jahren gab Karl Baedeker seinen ersten Reiseführer heraus: "Voyage du Rhin de Mayence á Cologne", ein Nachdruck, dem noch unzählige Handbücher für Europa, USA/Canada, den Nahen und Fernen Osten (bis Indien) in laufend gesteigerter Produktion folgten.

Wem fällt es nicht schwer nachzuvollziehen, daß Martin Zeiller (1589-1661) vor 350 Jahren (genau im Jahre 1632) sein "Teutsches Reyßbuch durch Hoch und NiderTeutschland" im Verlag von Lazarus Zetzner Erben in Straßburg veröffentlichte? Hatte ein Reisehandbuch zu der Zeit einen Sinn, als gerade die Fürsten von Taxis das Postregal als Lehen erhalten hatten (1615) und Deutschland mitten in den Wirren des 30-jährigen Krieges (1618 - 1648) versank? Lassen wir Martin Zeiller zu Wort kommen:

"Es ist gleichwol nicht ohne/daß mit raisen es allein nicht außgerichtet ist/wann man nicht auch einen Anlaiter hat/wie solche Raisen nutzlichen anzustellen. Dann obwoln man schöne Chronicken/und allerhand Bücher von den Teutschen Händeln/Kriegen/Gesetzen/Gewonheiten/ins gemein und insoderheit hat... so kan er dannocht nicht wissen/wie von einem orth zum andern füglich zugelangen/unnd was etwan da unnd dorten denckwürdiges zubetrachten sein möchte: sonderlich weiln viel Leuthe gefunden werden/die selbsten nicht wissen/was bey ihnen/unnd in ihrer Statt vornemblich zusehen/unnd daher den Frembden einen schlechten bericht geben können".

Wer war Martin Zeiller? Bringen wir seinen Namen mit Matthäus Merian und den in Frankfurt von 1642-1688 herausgegebenen Topographien in Verbindung, dürfte der Name schon bekannter sein. Martin Zeiller war der Textautor fast aller Merian'schen Topographien, wie z.B. von Bayern, Niedersachsen, Schweiz, um nur einige zu nennen. Als Hofmeister verschiedener Adeliger unternahm Zeiller viele Reisen in Europa, die er in Verzeichnissen festhielt. Mehrere Zeitgenossen drängten ihn, diese Verzeichnisse zu veröffentlichen. Da Zeiller aber nicht alle Teile Deutschlands bereist hatte, ersuchte er Botschafter und Fürsten, Ergänzungen ihm für sein Reisebuch zur Verfügung zu stellen.

Dieses Reisebuch beschreibt nicht nur Routen innerhalb Deutschlands, es enthält auch Angaben über Reisemöglichkeiten in Holland, Dänemark, Schweden, Polen, Ungarn, Siebenbürgen. Im Jahre 1639 erschien die zweite verbesserte und vermehrte Auflage, ebenfalls in Straßburg. Diese beiden Bände waren wegen ihrer Größe (Folio) unhandlich im Gebrauch, deshalb erschien 1651 in Ulm bei Georg Wildeisen ein "Taschenbuch" als Auszug:

"Fidus Achates oder Getreuer Reisgefert" (Weitere Auflagen: 1653, 1661).

Aber schon in dem 1632 erschienenen Reisebuch gibt Zeiller eine Anleitung zum Gebrauch:

"zu welchem ende es dann auch in diesem langen Format gedruckt worden/Damit der Raisende solches entweder gantz/gebunden/oder ungebunden/oder nur etwas davon/ als soviel nämblich ihme dienstlich/gebrauchen/unnd mit sich führen könne."

Etwas über 200 Jahre später schreibt Karl Baedeker in seinem "Handbuch für Reisende in Deutschland und dem oesterreichischen Kaiserstaate":

"Die bequemere Handhabung dieses Buches wird gefördert, wenn jede der drei Hauptabteilungen...einzeln so gebunden wird, daß Register und Karte jeder Abtheilung angehängt werden können. Die Theile, welche augenblicklich nicht gebraucht werden, mögen im Reisesack bleiben; ein Drittel des Buches wird auch die kleinste Rocktasche nicht beschweren."

Martin Zeiller begnügte sich nicht nur mit einem Reisebuch über Deutschland. 1634 erschien ein weiteres über Frankreich, England, Schottland und Irland; 1637 eines über Spanien und Portugal; 1640 eines über Italien. Nach Zeillers Tod wurden im Jahre 1674 die Reisebücher über Deutschland, Frankreich und England noch einmal vom Buchhändler Simon Pauli in Straßburg aufgelegt.

(Auszug aus einem längeren Aufsatz, der 1982 in der in Ulm erscheinenden "Südwest-Presse"erschien).

Literaturangaben:
Otto Achtelstetter: Ein Bädeker des XVII. Jahrhunderts, Wien 1895
Dietrich Baedeker: Zur Geschichte des Reisehandbuchs, Leipzig 1921
Otto Zierer: Bild der Jahrhunderte, 15. Buch: Entfesselte Gewalten 1600-1700 n.Chr., München o.J.
sowie die im Text zitierten Reisehandbücher.

Alex Hinrichsen: Der älteste deutsche Reiseführer wurde 350 Jahre alt
In "Reiseleben" Heft 6, S. 26-28.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1983)


BuchbesprechungenTable of contentsBaedekeriana

Reproduced by kind permission of Alex W. Hinrichsen. All copyrights acknowledged.

© 2004-15 bdkr.com  

bdkr.com P.O.Box 119 Cranbrook Kent TN18 5WB United Kingdom