Reiseleben, Sonderausgabe 1984

Heinrich Krohn:

Die Weltreisende Ida Pfeiffer

Wer sich mit dem Sammeln von alten Reiseführern befasst, den kann man - meine ich - mit einem Kolonisten vergleichen, einem Landmann, der einen brachliegenden Acker am Anfang vor sich liegen sieht, und nun mit einem Pflug daran geht, die Erde umzugraben, und bei jeder Furche, die er zieht, für ihn neue und wunderschöne Entdeckungen macht. Entdeckungen zu machen, das ist eine der Vorzüge des Sammelns, gleich welcher Gegenstand es ist. Er zieht seine Furchen in die Länge und in die Breite und in die Tiefe; er wird feststellen, daß man immer tiefer graben kann.

Wie tief, das haben wir von Herr Öhlberger gesehen, was man alles aus einem Gegenstand alles herausholen kann, und auch von Herrn Dr. Boyle heute nachmittag gehört. Der Sammler kann aber auch vielleicht anders vorgehen. Er stellt vielleicht plötzlich fest, daß neben diesem Acker, den er nun beackert, noch ein weiteres Feld ist mit ähnlicher Thematik, und neben diesem Feld noch viele andere Felder, und daß alle zusammen ein riesiges Areal bilden mit dem Titel "Kulturgeschichte des Tourismus". Er kann beschließen, nun über dieses riesige Feld hin und her zu ackern; er wird feststellen, auch dort kommt er nie ans Ende. Herr Hinrichsen hatte heute früh die Umstände aufgezeigt, die dazu führten, daß im Biedermeier die Geschichte des Reisens einen Umbruch erlitt, wie er seit der Antike nicht eingetreten ist. Im Jahre 1800 reiste man in der gleichen Technik, mit der gleichen Geschwindigkeit wie die alten Römer. Da hat sich fast nichts geändert, die Zeiten sind höchstens schwieriger geworden. Dann ist in wenigen Jahrzehnten zwischen dem Ende der napoleonischen Kriege und zwischen dem Jahre 1848 etwa ausgelöst durch die Industrielle Revolution ein Umbruch im Reisen eingetreten, der dem Tourismus neue Wellen eroberte.

Was schuld daran war, haben wir heute früh gehört. Es war letzten Endes die Entwicklung der Dampfkraft, der Einsatz des Dampfes bei den Eisenbahnen, bei den Dampfschiffen. Wie nun der Umbruch bei den Reisenden aussah - man kann es ganz kurz zusammenfassen - man reiste plötzlich schneller, man reiste komfortabler und man reiste billiger. Um wieviel man billiger reiste, das schrieb Karl Baedeker, als er nach seiner ersten Fahrt auf der belgischen Eisenbahn am Abend dann seinem Vater begeistert vorrechnete, was es auf der gleichen Strecke mit der Diligence gekostet hätte, und wie hoch der Preis nun bei der Eisenbahn war und um wieviel schneller er die Strecke zurückgelegt hatte. Aber es kam noch eines dazu. Es trat doch für immer größere Schichten der Bevölkerung allmählich eine Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse ein, die es auch einem immer größeren Teil des Publikums erlaubte, auf Reisen zu gehen. Hierzu eine Zahl und ein Zitat:

Die Zahl: 1825 - man hört auch 1826 - fuhr das erste Dampfschiff von Köln nach Mainz; knapp 3 Jahrzehnte später sind in einem Jahr eine Million Touristen mit Dampfschiffen auf dem Rhein auf und ab gefahren. Eine Million, eine Zahl, die noch heute imponiert. Was das bedeutet, hat Karl Baedeker schon in seinem Rheinführer von 1849 - den es im Reprint gibt - ausgedrückt, in dem er spricht von dem „übersättigtem Reisepöbel, der heuschreckenartig die Ufer des Rheins nun bevölkert und durch sein Benehmen beweist, daß er eigentlich nichts vergessen hat und nichts dazu gelernt hat."

Ich meine, das ist ein hartes Zitat, ein böses Zitat, aber es ist ein richtiges Zitat. Wer heute an eines der touristischen Zentren kommt, der wird auch heute noch diesem Reisepöbel, der alle Generationen und geschichtlichen Veränderungen überdauert hat, begegnen können.

Und wenn man sich nun mit dieser so interessanten Epoche der Geschichte des Tourismus befasst, dann stellt man sich immer mehr die Frage, was waren es eigentlich für Menschen, die reisten. Nicht dieser Reisepöbel, von dem Baedeker spricht, sondern die individualistischen Reisenden, die für sich allein auf Reise gingen, die etwas erleben wollten, die ihren Horizont erweitern wollten, was waren das eigentlich für Menschen. Unter welchen Umständen reisten sie, wie haben sie sich mit ihrer Reise auseinandergesetzt. Da gibt es nun neben den Reiseführern noch ganz vorzügliche Quellen. Auf die möchte ich jetzt kommen. Das sind die Reiseberichte. Reiseberichte, die damals in einer Unzahl geschrieben wurden.

Es war eine gewisse Mode, wenn man von der Reise zurückkehrte - und das konnte auch eine bescheidene Strecke nach heutigen Gesichtspunkten sein von München nach Rom oder von München nach London oder von Berlin nach Paris - man setzte sich hin, verfasste ein Buch, beschrieb das alles. Beschrieb auch das zum hundertsten Mal, was vor einem 100 Vorgänger schon einmal beschrieben hatten. Es gibt aber doch einige höchst interessante Berichte, die es heute noch wert sind gelesen zu werden, weil sie weniger bei den Kunstgegenständen verweilen oder tiefsinnige Betrachtungen anstellen über die Entwicklung der Industrie oder der Wirtschaft oder über die politischen Verhältnisse der Städte oder Länder, in die man kam. Sie befassen sich einfach mit den Umständen des Reisens, wie man auf der Eisenbahn fuhr, wie man auf dem Dampfschiff fuhr, was man erlebt hat, wenn man untergebracht war. Es gab damals in dieser Epoche sogar auch schon - es war eine Seltenheit - einige Damen, die auf Reisen gingen, die darüber berichtet haben. Eine ganz bekannte ist Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen, eine Zeitgenossin Goethes aus Weimar, die Europa durchreist hat, aber mit Freunden zum Teil, mit Extrapost, und doch in verhältnismäßig komfortabler Manier. Es gab aber auch eine Frau, die nicht nur in Europa reiste, sondern die ganze Welt; und die mit ihrer Leistung - wie ich meine - für die Geschichte des Tourismus zu Unrecht heute in Vergessenheit geraten ist. Ich spreche von der Wienerin Ida Pfeiffer, und ich möchte Sie nun ganz schnell mitten in das Lehen Ida Pfeiffers hineinführen in das Jahr 1848 in eine der einsamsten Gegenden im Vorderen Orient:

Die Frau war wütend. Sie hatte sich auf den Boden gesetzt, den Kopf in die Hände gestützt und blickte nun traurig hinüber zu den paar armseligen Hütten.

Es war der 29. Juli 1848. Die Häuser gehörten zu dem kleinen kurdischen Dorf Mahomet Schar, das im äußersten Nordwesten Persiens, unweit der türkischen Grenze lag. Ida Pfeiffer war vor drei Wochen in Mossul am Oberlauf des Tigris aufgebrochen und hatte seitdem keinen Europäer mehr zu Gesicht bekommen. Mit kleinen Karawanen war sie anfangs durch das bis zu viertausend Meter ansteigende Grenzgebirge gezogen, seit ein paar Tagen nun allein unterwegs mit einem kurdischen Führer, der sie am Urmia-See vorbei nach Täbris bringen sollte. Dort gab es einen englischen Konsul und einige weiße Kaufleute; aber Täbris war weit und noch lag das unsicherste Teilstück der Reise vor ihnen. Kurdische Räuberbanden durchstreiften das Gebiet, wiederholt schon war sie auf blutige Spuren von Überfällen gestoßen. Nun hatte der Führer den ganzen Tag verstreichen lassen; soweit sie ihn verstand, wollte er auf eine Karawane warten, um sich ihr anzuschließen. Die Stunden vergingen - es wurde Abend. Da bedeutete er seiner ungeduldigen Begleiterin, indem er ihren Mantel auf der Erde ausbreitete, sie solle sich zur Ruhe legen. Das erbost sie aber so, daß sie ihm den Mantel aus den Händen reißt, zu Boden wirft, sich darauf setzt und ihm dabei den Rücken zuwendet: Höchstes Zeichen der Verachtung gegenüber einem Anhänger des Propheten. Stundenlang bleibt sie so sitzen. Mitternacht geht vorbei.

"…Nachts um ein Uhr, so erzählt sie später, setzte sich mein Führer in Bewegung, packte mein Pferd und hieß mich aufsitzen. Nun kam das Verblüfftsein an mich, denn ich sah nirgends eine Spur der Karawane. - Wollte der Mann Rache an mir nehmen? Warum durchzog er eine Gegend, die er am hellen Tage gemieden hatte, bei Nacht und Nebel? - Ich konnte zu wenig persisch, um hierüber eine gehörige Auskunft zu erlangen, und wollte ich dem Kerl keine fernere Ausrede wegen Nichteinhaltung des Kontrakts gestatten, so mußte ich gehen und ich ging auch.

Mit Angst bestieg ich das Pferd und gebot meinem Führer, der hinter mir bleiben wollte, voran zu reiten, - von rückwärts wollte ich nicht überfallen werden, auch hielt ich die Hand fest auf der Pistole. Ich lauschte auf jeden Laut, beobachtete jede Bewegung des Führers, der Schatten meines eigenen Pferdes schreckte mich manchmal auf; doch kehrte ich nicht zurück..."

In der gleichen Nacht noch erreichen die beiden eine große, schwer bewaffnete Karawane, der sie sich anschließen können; eine Woche später ist Ida Pfeiffer in Täbris.

Wer war nun diese kleine, schmale und unscheinbare Frau von damals etwa fünfzig Jahren? Zwei Jahre durchzog sie schon die Kontinente; hatte anfangs entlegene Gebiete Brasiliens durchreist, war dann über Chile und Tahiti in das noch in weiten Bereichen Europäern unzugängliche China gekommen, durchquerte schließlich im Ochsenkarren den indischen Kontinent und war nun unterwegs, um von Mesopotamien aus durch Aserbeidschan den Kaukasus und das Schwarze Meer, und schließlich über Konstantinopel die Heimat zu erreichen, Wer war also Ida Pfeiffer?

Sie wurde 1797 als Tochter des Wiener Kaufmanns Johann Reyer geboren, lange Jahre einziges Mädchen unter fünf Brüdern. Der Vater war bei der Erziehung der Kinder von bestimmendem Einfluß. Da die kleine Ida sich schon früh in Spiel und Neigungen ganz ihren Brüdern anschloß, wurde sie auch wie diese aufgezogen. Die freiwillige Anpassung des Mädchens - vom Vater nicht nur geduldet, sondern gerne gesehen - ging soweit, daß sie bald nur noch Knabenkleidung trug und wie sie später mitteilt: "...vollends den Puppen und dem Küchengeschirr gram wurde..."

Johann Reyer versuchte, seine Kinder an Entbehrungen und Verzicht zu gewöhnen; diese spartanische, ja harte Erziehung wurde bestimmend für die charakterliche Entwicklung des Mädchens. Wenn später Ida Pfeiffers Sohn Oskar die wesentlichen Eigenschaften seiner Mutter schildert: „...Ernst, Wortkargheit, Willensstärke, Zähigkeit, Mut, Gleichgültigkeit gegen körperlichen Schmerz und gegen die Bequemlichkeiten des Lebens“, so wurde der Keim zu diesen Fähigkeiten, die schließlich maßgebend für das Gelingen ihrer erstaunlichen Reisen wurden, schon in diesen frühen Jahren gelegt.

Als der Vater stirbt, ist Ida erst neun Jahre alt; an seine Stelle tritt nun die ängstliche und konservative Mutter. Ida wird in Mädchenkleider gesteckt und reagiert prompt mit Widerspenstigkeit und Krankheit. Als ihr auf Anraten des Arztes wieder die geliebten Hosen und Jacken ausgehändigt werden, ist aller Gram schnell vergessen. Erst als das Mädchen in's Backfischalter kommt, gelingt es der Mutter, sich in der Kleiderfrage durchzusetzen - nicht ohne Probleme. "...wie linkisch und unbeholfen war ich anfangs...", schreibt Ida Pfeiffer später, "…wie lächerlich mußte ich in langen Kleidern aussehen, als ich dabei immer noch lief und sprang und mich in allem benahm wie ein Junge."

Als sie siebzehn ist, hält ihr langjähriger Hauslehrer um ihre Hand an. Er ist ihre große Liebe, doch die Mutter verweigert die Zustimmung zu dieser, für sie nicht standesgemäßen Ehe. Ida muß verzichten. Lange Zeit lehnt sie nun jeden Bewerber ab, bis sie schließlich zweiundzwanzigjährig einen Antrag des Lemberger Advokaten Dr. Pfeiffer annimmt. Pfeiffer ist 24 Jahre älter als lda - mit der ausschlaggebende Grund für deren Einwilligung, will sie doch dem Jugendgeliebten beweisen, daß Empfindungen für Ihre Zustimmung nicht von Ausschlag waren. Das Ehepaar lebt sich bald auseinander und als Pfeiffer unverschuldet verarmt, geht seine Frau mit den beiden Söhnen nach Wien, um die Kinder dort unter den härtesten Entbehrungen zu erziehen. Über diese schlimmen Jahre schreibt sie später: „.Gott allein weiß, was ich durch achtzehn Jahre meiner Ehe litt. Nicht durch rohe Behandlung von seiten meines Mannes, sondern durch die drückendsten Lebensverhältnisse, durch Not und Mangel! Ich stammte aus einem wohlhabenden Hause, war von frühester Jugend an Ordnung und Bequemlichkeit gewöhnt, und nun wußte ich kaum, wo ich mein Haupt niederlegen, wo das bißchen Geld hernehmen sollte, um mir das Nötigste anzuschaffen. Ich verrichtete alle Hausarbeiten, ich fror und hungerte, ich arbeitete im Geheimen für Geld, ich erteilte Unterricht im Zeichnen und Musik, und doch trotz aller Anstrengungen gab es oft Tage, an welchen ich meinen armen Kindern kaum etwas mehr als trockenes Brot zum Mittagessen vorzusetzen hatte."

Als die Söhne erwachsen und in gesicherten Stellungen sind, regt sich bei Ida Pfeiffer immer mehr der Traum ihrer Kinderjahre, fremde Länder, ja die ganze Welt zu bereisen. Dabei locken sie nicht die damals üblichen Reiseziele, die Länder, in denen man mit Postkutsche und Eisenbahn verhältnismäßig komfortabel vorankam und in Gasthöfen sicheres Unterkommen fand; es waren vielmehr die Gegenden, wo Ziel und Fortkommen höchst ungewiß waren und man jeden Morgen nicht wußte, wo man am Abend sich zur Ruhe legen würde. Ein ungewöhnliches Vorhaben damals, noch dazu für eine Frau; galt es doch für Damen äußerst unschicklich selbst im sicheren Mitteleuropa ohne männlichen Schutz eine, auch noch so kleine Reise anzutreten. Ida Pfeiffer war sich im klaren, daß dieses Problem, neben der Knappheit ihrer Mittel das größte Hindernis ihrer Pläne sein mußte. "...Doch war ich bald über diese wichtigen Punkte mit mir einig", schreibt sie, "was den ersten anlangt, daß ich als Frau allein in die Welt hinaus wollte, so verließ ich mich auf meine Jahre (ich zählte deren schon fünfundvierzig), auf meinen Mut und auf die Selbständigkeit, die ich in harter Schule des Lebens erlangt hatte, als ich nicht nur für mich und meine Kinder, sondern auch mitunter für meinen Mann sorgen mußte. In Betreff des Geldpunktes war ich zur größten Sparsamkeit entschlossen, Unbequemlichkeiten und Entbehrungen schreckten mich nicht. Ich hatte ja deren schon genug und zwar gezwungen ertragen; wie viel leichter mußten die freiwillig aufgesuchten mit einem bestimmten Ziel vor Augen, zu ertragen sein."

Sie beschließt, in das Heilige Land zu reisen, ein damals noch höchst abenteuerliches Unterfangen. Da man ihr, wenn sie dieses Ziel genannt hätte, von seiten ihrer Freunde entschieden abgeraten hätte, gibt sie als Endpunkt der Fahrt wohlweislich nur Konstantinopel an; auch das für sie als Frau schon ungewöhnlich genug. Am 22. März 1842 betritt sie am Donauufer in Wien das Dampfschiff "Marianne", erstes Ziel ist Budapest. Das Abenteuer ihres Lebens beginnt.

Nach fünfzehn Tagen erreicht Ida Pfeiffer die Metropole am Bosporus, so lange dauert damals die Fahrt die Donau hinunter; sechsmal muß sie dabei das Schiff wechseln. Sie besichtigt in Konstantinopel alles, was ihr als Frau zugänglich ist. Eines Tages hat sie die Möglichkeit, sich einigen Herren anschließen zu können, die nach Bursa, der alten Hauptstadt des Türkischen Reiches wollen. Die Einladung erfolgt aber erst, nachdem sie versichert hat, gut zu Pferd zu sein, - eine gewagte Behauptung, war sie doch bis dahin nie geritten. Das Abenteuer endet ohne Blamage, von nun an legt sie einen großen Teil ihrer Reisen im Sattel zurück. Vorerst aber geht es wieder zu Schiff entlang der kleinasiatischen Küste nach Beirut.

Über Jaffa erreicht sie glücklich Jerusalem; für die gläubige Christin ist der Besuch aller heiligen Stätten ein Höhepunkt des Lebens. Als sie einige Herren kennenlernt, die zum Toten Meer reiten wollen, bittet sie, mitgenommen zu werden. Marodierende Räuberbanden machen nämlich das Gebiet unsicher, alleine wäre die Reise zu gefährlich. Am ersten Abend übernachtet die Gesellschaft in dem einsam in der Wüste gelegenen Kloster Sabas, Als Ida Pfeiffer als letzte eintreten will, machen die Mönche ihr Pforte vor ihrer Nase zu: Eine Frau im Kloster - unmöglich! Man weist ihr einen etwa eine halbe Meile entfernten alten Wachturm zum Nachtlager an. Alleingelassen, steigt sie die Treppe zur Zinne hinauf. Von hier kann sie das Land überschauen. Sie erzählt: "Ich sah weder Baum noch Strauch, weder Hütte noch Menschen; alles war öde, alles wie ausgestorben. Die Sonne sank hinter die Berge, unbelauscht von lebenden Wesen; ich war vielleicht das einzige in dieser Gegend, das sich dieser Naturszene erfreute. Unwillkürlich sank ich auf die Knie, um Gott auch in seiner wilden Natur zu loben und zu preisen."

Später am Abend bringt man ihr noch einige Decken und etwas zu essen, dann ist sie endgültig allein: "Ich hörte die Tür knarren, das Schloß einfallen und die Leiter hinwegtragen und war nun abermals eingeschlossen und meinem Schicksal überlassen... Ich schlief gut. Neugestärkt erwachte ich mit der Sonne und war schon lange bereit, ehe mein Pförtner kam, mir schwarzen Kaffee zum Frühstück brachte und mich dann zur Klosterpforte geleitete, wo mich meine Reisegefährten lobend begrüßten und einige darunter sogar gestanden, daß sie es mir nicht nachmachen möchten.“

Nach manchen Streifzügen kommt Ida Pfeiffer über Damascus dann wieder nach Beirut. Ende Juli hat sie dort Gelegenheit, sich auf einem griechischen Zweimaster nach Ägypten einzuschiffen. Sie erreicht Kairo, besichtigt die Pyramiden und fährt auf einer arabischen Barke durch das Nildelta. Hier auf dem weiten Strom gehen ihre Gedanken zu den Menschen daheim, denen "die armseligen Bequemlichkeiten des Lebens, die Genüsse des Luxus mehr gelten, als die erhabenen Schönheiten der Natur, mehr als die Monumente der Geschichte und die Kenntnisse von Sitten und Gebräuche fremder Völker." Sie schreibt: "Wenn es mir oft recht schlecht ging und ich, eine Frau, mit noch mehr Unannehmlichkeiten und Entbehrungen zu kämpfen hatte als ein Mann: Bei solchen Anblicken war jede Mühseligkeit vergessen, und ich pries Gott, daß er mir einen so festen Willen verliehen hatte, meine Wanderung fortzusetzen."

Im September 1842, nach neunmonatiger Abwesenheit kommt Ida Pfeiffer wieder nach Wien zurück. Zwei Jahre später erscheint ihr erstes Buch: "Reise einer Wienerin in das Heilige Land" - es wird ein großer Erfolg. Mit dem Honorar fließen ihr die Mittel zu, eine zweite Reise zu unternehmen. Wieder wird ein Jugendtraum verwirklicht; am 16. Mai 1845 landet sie an der isländischen Küste und durchstreift die Insel in allen Richtungen. Ihr Weg führt sie dann nach Dänemark und Norwegen; zurückgekehrt macht sie sich an ihre zweite Reisebeschreibung "Reise nach dem Skandinavischen Norden und der Insel Island", die ebenfalls weite Verbreitung findet, - keine Selbstverständlichkeit in einer Zeit, die ein lesewütiges Publikum mit den Berichten aller möglichen Reisenden, die ihre Nase einmal über die Grenze des eigenen Landes hinausgestreckt hatten, geradezu überschwemmt.

Nun stehen Ida Pfeiffer die bescheidenen Mittel zur Verfügung, ihren nächsten Plan zu verwirklichen: Eine Reise um die Welt! "Größere Mühsale und Entbehrungen", schreibt sie, "als ich in Syrien und Island ausgestanden hatte, konnte ich nirgends erwarten. Auch die Kosten schreckten mich nicht, da ich schon aus Erfahrung wußte, wie wenig man bedarf, wenn man sich auf das Allernötigste beschränkt und jeder Bequemlichkeit, jedem Überfluß zu entsagen bereit ist. Durch meine Ersparnisse erhielt ich Summen, mit denen Reisende wie der Fürst Pückler-Muskau höchstens auf einer vierzehntätigen Badereise ausgekommen wären, die mir, der einfachen Pilgerin, aber zu zwei- und dreijährigen Fahrten genügend erschienen und - wie die Folge zeigte - auch waren."

Wieder enthüllt sie ihren Söhnen noch den Bekannten ihren ganzen Plan, als Reiseziel gibt sie diesmal Brasilien an.

Am 16. September 1846 landet die kleine dänische Brigg, auf der sie sich in Hamburg eingeschifft hatte, nach zehnwöchiger Überfahrt in Rio de Janeiro. Ida Pfeiffer besichtigt die Stadt und ihre Umgebung; dann hat sie Gelegenheit, sich einem deutschem Grafen Berchthold zu einer ausgedehnten Reise in das Landesinnere anzuschließen. Als die beiden einmal alleine den Urwald durchstreifen, werden sie von einem entlaufenen Negersklaven mit dem Messer angefallen. Der Graf wird schwer verletzt, auch unsere Reisende erhält einige Stiche. In höchster Not befreien des Weges kommende Landarbeiter die zwei. Als ihr Begleiter später wegen seiner Verwundung zurückkehren muß, beschließt Ida Pfeiffer, die Reise alleine fortzusetzen. Von Hazienda zu Hazienda gibt man ihr einen Führer mit; schließlich hören die letzten Farmen auf, alleine mit einem Neger als Begleiter dringt sie bis zu den Puris, einem Stamm der Indios vor. Sie geht mit den Wilden auf die Jagd, Affen und Papageien werden erlegt, abends gebraten und unserer Reisenden serviert: "Mein Appetit war grenzenlos, da ich seit morgens nichts gegessen hatte; ich fing also gleich mit dem Affenbraten an, den ich überaus köstlich fand; - bei weitem nicht so zart und schmackhaft war das Fleisch des Papageien."

Ida Pfeiffer kehrt nach Rio zurück; mit einem englischen Segler umschifft sie Kap Horn und erreicht nach längeren Aufenthalten in Chile und auf Tahiti im Juli 1847 endlich China. Nach einem Besuch in Hongkong kommt Ida Pfeiffer dort nach Kanton. Nur wenige Europäer, meist Kaufleute, leben damals in der Stadt. Die Stimmung unter den Chinesen ist den "weißen Teufeln" gegenüber sehr gereizt. Unsere Reisende läßt sich dadurch nicht an zahlreichen Streifzügen in die Umgebung der Stadt hindern, ein junger österreichischer Kaufmann führt sie: "Herr von Carlowitz hatte viel Güte und Geduld, mich überall hin zu begleiten und setzte sich meinetwegen gar manchen Gefahren aus. Er ertrug es mit Gelassenheit, wenn das Volk hinter uns nachstürmte und seinen Zorn über die Kühnheit der europäischen Frau, sich öffentlich zu zeigen, Luft machte. - Durch seine Verwendung sah ich mehr, als je eine Frau in China gesehen hatte."

Ihre Reise führt Ida Pfeiffer dann weiter über Singapur und Ceylon nach Indien. Meist mit Ochsenkarren durchquert sie den Halbkontinent, zu ihren Fortbewegungsmitteln gehören auch Kamele. Einmal will man ihr ein zweites Tier extra für ihr Gepäck aufnötigen, doch ihre ganze Bagage auf der Reise um die Welt bestand nur aus einem einzigen Köfferchen: "Ein ledernes Gefäß für Wasser, ein Pfännchen zum Kochen, eine Handvoll Salz und etwas Reis und Brot", so beschreibt sie ihre Habseligkeiten.

Mit einem Dampfschiff durchquert sie dann den Indischen Ozean. Die einzige Kabine ist besetzt, der Kapitän hat auf dem offenen Deck seinen Tisch anschrauben lassen, um dort zu speisen. Im Schatten der Tischplatte findet unsere Reisende einen Platz auf dem Deck, glücklich, hier 18 Tage und Nächte vor Hitze und Ungeziefer einigermaßen geschützt zu sein. Über den letzten Teil der Reise durch Mesopotamien und Persien haben wir schon eingangs gehört.

Ihr Reisebericht erscheint unter dem Titel "Eine Frauenfahrt um die Welt", Ida Pfeiffer ist nun berühmt; ihre Bücher werden ins Englische und Französische übersetzt. Bald reift der Plan für eine zweite Weltreise, die österreichische Regierung gewährt ihr sogar einen Zuschuß von 1.500 Gulden. Unsere Heldin sticht am 24. Mai 1851 wiederum in See, diesmal von London aus. Erstes Ziel ist. Kapstadt. Von dort will sie nach Australien, ändert aber Ihre Pläne und reist weiter nach Indonesien. Von den holländischen Kolonialherren freundlich aufgenommen, kommt sie nach Borneo, Java, Bali und schließlich auch nach Sumatra. Das innere dieser Insel ist teilweise noch unerforscht; die Bataker, denen der Ruf des Kannibalismus vorausgeht, verwehren den Zugang zu dem geheimnisumwitterten See von Ela-Tau. Ida Pfeiffer will wagen, was noch keinem Europäer gelungen ist. Sie findet endlich einige Eingeborene, die bereit sind, sie zu begleiten. Nach vielen Tagen Ist sie dem Ziel nahe, doch nun lassen die Wilden, denen sie begegnen, kein weiteres Vordringen mehr zu. Speerbewaffnet stellen sich ihnen Männer in den Weg. Sie berichtet: "Sie waren groß und kräftig, viele an sechs Fuß hoch, die Gesichtszüge leidenschaftlich bewegt, - das große Maul mit den hervorstehenden Zähnen glich wahrlich mehr dem Rachen eines wilden Tieres als einem menschlichen Munde. Ich hatte zwar Angst, die Szene war zu entsetzlich, doch verlor ich nicht meine Geistesgegenwart und setzte mich, anscheinend ruhig und vertrauensvoll auf einen Stein, der am Wege lag. Einige traten auf mich zu, mir mit Worten und Zeichen drohend, daß, wenn ich nicht umkehre, man mich töten und verzehren würde. Die Worte verstand ich nicht; aber die Zeichen ließen mir keinen Zweifel, denn sie wiesen mit dem Messer an den Hals, mit den Zähnen an die Arme und bewegten die Zahnkiefer, als hätten sie den Mund schon voll von meinem Fleische."

Ida Pfeiffer kehrt um und kann mit ihren Begleitern glücklich wieder das Gebiet der Holländer erreichen - nie war sie wohl so nahe daran ihre Reiselust mit dem Leben zu bezahlen.

Ihre Fahrt führt sie weiter nach Südamerika; unweit des Chimbarasso überquert sie die Anden und hält sich auch längere Zeit in Kanada und den Vereinigten Staaten auf. Dort hat sie ihr Ruhm schon eingeholt, auf den Mississippidampfern räumt man ihr überall freie Passage ein. Nach dreijähriger Abwesenheit betritt Ida Pfeiffer im Mai 1855 glücklich wieder europäischen Boden. Nun spricht alle Welt von ihr. Der preußische König verleiht ihr die Medaille für Wissenschaft und Kunst, die Berliner Geographische Gesellschaft ernennt sie zum Ehrenmitglied und kein Geringerer als Alexander von Humboldt zählt zu ihren Bewunderern. Er bescheinigt ihr "Edle Ausdauer, unbezähmbare Energie des Charakters und eine unbesiegbare Leidenschaft, die Natur und die Gebräuche der verschiedenen Menschenrassen zu erforschen."

Was ist nun von der wohl einmaligen Leistung dieser mutigen und bescheidenen Frau geblieben? Schon ab der Jahrhundertwende verliert sich ihr Name allmählich aus den großen Nachschlagewerken, meist ist er etwas gönnerhaft mit dem Zusatz versehen: „…doch sind ihre Reiseberichte, da sie keine geeignete Vorbildung besaß, von geringem Wert.“ Als wenn die Leistung dieser kleinen tapferen Person nach wissenschaftlichen Kriterien zu beurteilen wäre. Die Reisen Ida Pfeiffers sind doch gemessen an der Bescheidenheit ihrer finanziellen Möglichkeiten, an der Einfachheit der Fortbewegungsmittel und vor allem an dem Umstand, daß eine Frau sie unternahm, sicher ohne Beispiel in der Geschichte des Tourismus.

Im Alter von sechzig Jahren hält es sie nicht mehr zu Hause. Diesmal ist das Ziel Madagaskar - auch diese Insel im Innern bis dahin noch kaum von Weißen betreten. lda Pfeiffer kann sich einem landeskundigen Franzosen anschließen. In der Hauptstadt wird sie mit diesem in Intrigen gegen die regierende Königin verwickelt. Sie wird des Landes verwiesen; bei dem langen Rückmarsch zur Küste durch die feuchten Urwälder erkrankt sie wieder einmal an Malaria - diesmal besonders hartnäckig. Einige Monate bleibt sie noch bei Freunden auf der Insel Mauritius. Dann zwingt sie ihr Zustand zur Aufgabe aller weiteren Reisepläne, sie kehrt nach Wien zurück. Dort stirbt sie am 27. Oktober 1858 - das Abenteuer Ihres Lebens ist zu Ende.

Quellen:
Ida Pfeiffer: Reise einer Wienerin In das Heilige Land, Stuttgart 1969
dieselbe: Eine Frauenfahrt um die Welt, Wien 1850
dieselbe: Meine zweite Weltreise, Wien 1861
v, Wurzbach (Hrsg.): Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Wien 1870

Heinrich Krohn: Die Weltreisende Ida Pfeiffer
In "Reiseleben" Sonderausgabe, S. 37-46.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1984)
ISBN 3-922293-04-2


Wer war Karl Baedeker?Table of contentsVorwort des Herausgebers

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