Reiseleben, Heft 3 / 1980

Fritz Baedeker

L. Laurence Boyle (Alle Rechte dieses Textes bei L.L. Boyle, die der Übersetzung bei Alex Hinrichsen)

Friedrich Dietrich Gottschalk Baedeker wurde am 4. Dezember 1844 als 5. Sohn seines berühmten Vaters Karl Baedeker in Koblenz geboren.

Wir wissen wenig aus der ersten Zeit seines Lebens, bis auf die Tatsache, daß er Kanarienvögel aufzog, und auf die nicht zutreffende Nachricht der New York Times vom 11. April 1925, daß "he was only 15 years old when he took over his father's business in 1859".

Er verließ das Gymnasium in Koblenz im Jahre 1863 und schrieb sich an der Universität Heidelberg am 27. Oktober des gleichen Jahres ein. Von seinem Onkel Ferdinand Sehmer, Ehemann seiner ältesten Schwester Anna (die Grabsteine von beiden sind auf dem Karthäuser Friedhof - heute Hauptfriedhof - in Koblenz zu sehen) wird berichtet, daß er sein Vormund war. Fritz studierte an der philosophischen Fakultät und gehörte dem Korps der Vandalen an; nach ein oder zwei Jahren wechselte er an die Humboldt-Universität in Berlin. Er verließ sie im Jahre 1866, um als Freiwilligen-Kanonier in die 1. Reitende Batterie des Gardefeldartillerie-Regiments eingezogen zu werden. Er nahm an der Schlacht von Sadowa (Kreis Königsgrätz) teil, wo glücklicherweise für die weitere Entwicklung der Reisehandbücher und dank der Ignoranz der deutschen Heerführung gegenüber napoleonischen Prinzipien des Kavallerieeinsatzes Fritz wenig zu tun hatte. Er mußte nur Sättel und andere Ausrüstungsgegenstände nach der Schlacht (3. Juli 1866) einsammeln. Er nutzte dies als ausgezeichnete Gelegenheit, die geographische Lage des Schlachtfeldes zu studieren.

Nach dem Krieg ging er nach Genf, um eine Buchhändlerlehre anzutreten, und am 1. März 1869 nahm ihn sein älterer Bruder Karl als Partner auf. Er übertrug ihm die Verantwortung für die Sortimentsabteilung, um selber mehr Zeit für das Schreiben von Reisehandbüchern zu gewinnen. Aber Fritz wurde bald wieder eingezogen, dieses Mal von Koblenz aus, wo er dem 4. Rheinischen Landwehrregiment Nr. 29 als Leutnant des 2. Bataillons (Koblenz) zugeordnet wurde. Er nahm an der Schlacht bei Metz teil und wurde mit dem Eisernen Kreuz 2. Klasse und der Landwehr-Dienstauszeichnung 2. Klasse dekoriert. Am 24. Dezember 1870 wurde er zum Vizewachtmeister in der 3. reitenden Batterie des Rheinischen Feldartillerie-Regiments Nr. 8 (Korps-Batterie des 8. Armee-Korps) ernannt. Dann am 9. Februar 1871 wechselte er über zur 2. leichten Batterie der Brigade v. d. Goltz des XIV. Armeekorps, wo er als Leutnant diente.

Sein bester Freund und Nachbar Johannes Landfermann, Sohn des Provinzialschulrates Dietrich Ludwig Wilhelm Landfermann und seiner Frau Luise Winter, war unter der großen Zahl der bei Gravelotte Gefallenen; es war wahrscheinlich auf die Bemühungen von Fritz zurückzuführen Johannes' sehr verstörte Schwester Flöry zu trösten, daß sie am 16. Juni 1873 heirateten. Die sehr glückliche Ehe dokumentierte sich durch vier Söhne und eine Tochter.

Nach den Erfahrungen als Juniorpartner im Verlag wurde Fritz am 28. Mai 1878 Inhaber der Firma, als sein Bruder Karl ausschied. Die sich laufende Erweiterung der Gebiete der Reisehandbücher setzte sich so fort, daß unter der Leitung von Fritz die ersten Ausgaben von "Schweden und Norwegen", "Rußland", den Frankreich-Bänden, von "Ober-Ägypten", "Nordamerika", "Canada", "Spanien und Portugal", "Konstantinopel und Kleinasien" und "Mittelmeer" herausgebracht wurden.. Sein Lieblingsprojekt war aber der "Indien"-Band, der am 29. Oktober 1913 erschien.

Fritz war auch verantwortlich für das Errichten des Familiensitzes in der Plagwitzer Straße in Leipzig; er wurde am 1. Juli 1985 100 Jahre alt, nun als Jugendtouristenhotel "Georg Schumann".

Die Feierlichkeiten zur Silberhochzeit am 18. Juni 1898 nahmen einen glänzenden Verlauf mit einem speziell dafür geschriebenen Festspiel, verfaßt von Mathilde Paar und der Musik von Walter Hagen, gedruckt bei Breitkopf & Härtel. Es wurde aufgeführt von Mitgliedern der Familien Baedeker, Engelmann und anderen Verlegerfamilien, und ohne Zweifel rief es viel Gelächter hervor. Es gab aber auch noch andere Festlichkeiten, die die Baedekers während dieser Zeit besuchten. Sie nahmen z. B. teil am Festspielprogramm des Leipziger Kunstgewerbemuseums am 31. Januar 1900 zusammen mit Georg Hirzel und Max und Marianne Brockhaus. Jedes Jahr gab es im Haus ein Faschingsfest. Die vielleicht bedeutendste Feier war aber die Hochzeit von Marianne, der einzigen Tochter von Fritz, am 5. Oktober 1905.

Im Mai 1909 veröffentlichte das Börsenblatt die Mär, daß Fritz der Titel eines Professors durch S.M. den König von Sachsen verliehen worden sei. Dieses provozierte die Antwort, daß "mir persönlich keine Anzeige von der Verleihung des Professorentitels zugegangen ist und mir voraussichtlich auch keine solche zugehen wird. Worauf die Zeitungsnotiz beruht, weiß ich nicht. Ich bitte diese Erklärung zur Vermeidung weiterer Irrthümer gefl. in die nächste Nummer aufzunehmen".

Aber wenn Fritz auch nicht Professor geworden war, bekam er doch den Ehrendoktortitel von der philosophischen Fakultät der Leipziger Universität am 30. Juli desselben Jahres verliehen, zusammen mit zwei Verwandten, nämlich Emanuel Reinecke durch die juristische und Georg Hirzel durch die medizinische Fakultät.

Zu der Zeit gab es ungefähr 500 Verleger und Buchhändler in Leipzig, und diese Auszeichnung bedeutete eine hohe Ehre. Die Zeremonie verlief beeindruckend in der Wandelhalle (der Universität) in Anwesenheit Kaiser Wilhelm II. Dr. Seeliger, Dekan der philosophischen Fakultät präsentierte den von ihm Auserwählten mit folgenden Worten: "Aber wir anerkennen nicht allein Mitglieder der Gelehrtenzunft, Genossen der Gelehrsamkeit, wir sehen auch als wichtige Mitarbeiter an solche hochstrebende Männer, die, ohne eigentliche Gelehrte zu sein, wissenschaftlichen Geist pflegen; die mitunter gleichsam von der Seite des Vergnügens her weitere Kreise ernst anzuregen und die Gewinnung wahrer Bildung und eines weiten Gesichtskreises zu verschaffen vermögen. Wir ernennen den Leipziger Verlagsbuchhändler Fritz Baedeker zum Ehrendoktor."

Fritz war verständlicherweise sehr stolz auf den neuen Titel. Er nutzte ihn bei allen offiziellen Anlässen und auf seinen Exlibris. Er muß es vergessen haben, daß er an Flöry im Jahre 1872 geschrieben hatte: "Du mußt nämlich wissen, daß hier die Doktormanie herrscht. Auch unter den Buchhändlern und Kaufleuten (unter diesen nur wenige) gibt es sehr viele, die diesen Titel führen. Wer sich ihn nicht wirklich erworben oder wie Onkel Mali (Salomon Hirzel, Schwiegervater seines Bruders Ernst) ehrenhalber übertragen bekommen, sucht ihn sich auf irgendeine andere Weise zu verschaffen. Da schenkt z. B. ein Buchhändler sämtliche Werke seines Verlags an die Universität Jena oder an eine andere, und zur Belohnung erhält er das Doktordiplom. Die guten Leipziger halten sich gern über Ordensverleihungen u. dgl. auf, über diese Schwachheit dünken sie sich erhaben (und ich stimme gern mit ihnen im allgemeinen darin überein), aber in Hinsicht auf den Doktortitel könnten sie sich doch an ihrem eigenen Kopf ziehen."

Fritzens Doktorat kostete ihn 50.000 Mark, denn für diese Summe war an der philosophischen Fakultät eine Baedeker-Stiftung gegründet worden für die Bereiche der klassischen Archäologie, der orientalischen Archäologie, der Kunstgeschichte oder der Geografie. Als Ergebnis dieser Stiftung wurde eine Reihe von Baedeker-Veröffentlichungen herausgebracht, wie u.a. auch der Titel "Kompositionsgesetze frühgotischer Glasgemälde" (1918).

Wenn 50.000 Mark auch als annehmbare Größenordnung im heutigen Geldwert anzusehen sind, sollten wir es hier als Gewinnmarge aus dem Verkauf von rund 20.000 Reisehandbüchern vergleichenderweise betrachten. Und da läßt sich ein Teil des Erfolgs unter der Führung von Fritz erkennen: Im Jahre 1902 betrug die durchschnittliche Anzahl der Drucke pro Titel 3000 Stück. Im Jahre 1913 wurden 252.000 Reisehandbücher aufgebunden, von denen 240.200 verkauft werden konnten. 76.700 Stück waren davon englische Ausgaben. Der Umsatz betrug 990.000 Mark. 1913 war wahrscheinlich das beste Jahr von allen, was die Produktionszahlen anlangte. Das Börsenblatt analysierte diesen Erfolg in nachfolgendem Auszug aus seinem Nachruf. "Was die Firma Karl Baedeker bedeutet, braucht man dem Buchhandel nicht zu sagen. Daß die von ihr herausgegebenen Reisebücher immer auf ihrer Höhe geblieben sind, das ist das Verdienst des nun Verstorbenen. Unablässig war er darauf bedacht, seine Führer zu vervollkommnen, legte immer besonderen Wert darauf, daß alle Angaben möglichst auf Autopsie beruhten. Er selbst unternahm zu diesem Zweck weite Reisen und war sehr peinlich in der Auswahl seiner Mitarbeiter. Die im In- und Auslande bekannten und beliebten roten Bücher dehnten sich auf immer weitere Gebiete aus, und ihre französischen und englischen Ausgaben waren in den Ländern dieser Sprachen gesucht und beliebt. Fast alle Bände sind von Fritz Baedeker entscheidend redigiert oder umgearbeitet worden; selbst wissenschaftliche Autoritäten fügten sich willig seiner Stilkunst, die auf knappem Raum in klarer Anordnung zusammenzudrängen wußte, was für den Reisenden wesentlich ist."

Obwohl Fritz Seniorchef zeitlebens blieb, war sein Sohn Hans der führende Kopf der Firma seit 1919, wenn nicht sogar schon 10 Jahre früher. Der Krieg brachte viel Leid über die Baedeker-Familie. Fritz und Flöry verloren ihren Sohn Karl III - Vater des "Freiburger" Karl IV und ein anerkannter Physik-Professor in Jena - in den ersten Tagen des Krieges in der Belagerung von Lüttich und dieses verursachte ziemliche Bitterkeit. Flöry starb nach einer langen und schmerzvollen Krankheit am 25. März 1916; ihre Schwiegertochter Hedwig, Frau von Ernst und Enkelin von Fritzens Schwester Anna, starb zwei Tage nach einer Geburt eines Kindes am 12. Mai 1916. Das Familienglück war ernstlich betroffen von dem verlorenen Krieg und durch die darauffolgende Wirtschaftskrise sowie durch den Ausfall von vier Jahren an Produktion.

Die letzten Jahre von Fritz Baedeker wurden von seinem Sohn Hans an Stanley Unwin am 18. April 1925 - 9 Tage nach dem Tode von Fritz - wie folgt beschrieben: "Der Tod kam ihm als ein Erlöser von mancherlei körperlichen Gebrechen, aber wir haben doch bis zuletzt die Freude gehabt, daß er geistig gesund und aufnahmefähig geblieben war. Noch am Tage vor seinem Tode konnte ich ihm berichten, wie ich in Freiburg im Breisgau an der Konfirmation seiner Enkel teilgenommen hatte und er freute sich zu hören, daß die beiden sich günstig entwickeln. Am 29. März hat er noch mit fast unglaublicher Willenskraft darauf bestanden, zur Präsidentenwahl geführt zu werden. Wir Söhne hoffen, sein großes Werk in seinem Geiste weiterzuführen." Seine sterblichen Überreste wurden auf dem Südfriedhof in Leipzig beigesetzt, wo ein Gedenkstein im Familiengrab an ihn erinnert.

James F. Muirhead schrieb über die Einstellung von Fritz zu seiner Arbeit wie folgt: "Er war ein Fanatiker in seiner Arbeit, und war sowohl ein Autor als auch ein Verleger, der die Wertschätzung seiner Pücher für ihre Aufrichtigkeit oral Genauigkeit, die sie einbrachten sowohl als hohe Belohnung als auch als Grundlage des Wohlstandes zu schätzen wußte- Ich weiß nicht, was ihm mehr gefallen hätte als der Ausspruch, den die Times prägte: "The Prince of Guidebook Makers". Diese Stellungnahme gefiel ihm so, daß er sie aufnahm. Man konnte sicher sein, niemals zu einer Handlung gebeten zu werden mit eigennützigen Motiven. Sein Edelmut und seine Rücksicht waren untadelig. Sein Vertrauen, einmal errungen, wurde ganz und bereitwillig zuteil."

L. Laurence Boyle: Fritz Baedeker
In "Reiseleben" Heft 10, S. 2-5.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1985)
ISBN 3-922293-08-5


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