Reiseleben, Heft 11 / 1985

Die ersten Fahrpläne und Kursbücher der Eisenbahn

- eine Studie

Die Geschichte der Deutschen Eisenbahnen und insbesondere die Einzelheiten der ersten Strecke auf deutschem Boden zwischen Nürnberg und Fürth sind anläßlich des Jubiläumsjahres in Wort und Schrift und mit der großen Ausstellung in Nürnberg gewürdigt worden.

Die Eisenbahnen brauchten als neues Verkehrssystem sofort Fahrpläne, die dem zukünftigen Benutzer - sprich Passagier - die Abfahrtszeiten, die Klassen und die Preise angaben. Wir kennen für die einzelnen Strecken die Aushangfahrpläne, die meistens sehr dekorativ aus heutiger Sicht wirken.

Ab wann gab es nun komplette Übersichten und Kursbücher für den Gebrauch des Reisenden?

Aus England kennen wir als erstes Kursbuch den "Bradshaw", der im Jahre 1839 schon genaue Zeitangaben wie "8 Uhr 18 Min." enthielt.

Im ersten Handbuch für Reisende über Belgien von Karl Baedeker aus demselben Jahre sind auch genaue Zeitangaben der bis dahin in Betrieb genommenen Eisenbahnen enthalten wie z.B.: "Von Brüssel nach Gent, Antwerpen, Löwen und Tirlemont um 6 Uhr 5 Minuten Morgens; Gent, Antwerpen, Löwen, Tirlemont und Lüttich um 9 Uhr 25 Minuten;" usw.

Dann folgt ein Satz als Einschränkung: "Da diese Bestimmungen häufig geändert werden, so wird es nöthig, an Ort und Stelle in den Gasthöfen immer nähere Erkundigungen einzuziehen."

Nach den verzeichneten Bahnen, Strecken, Klassen und Preisen gibt es einen Einblatt-Druck aller Eisenbahnstrecken in Deutschland zumindest schon seit der Zeit um 1842:

"Verzeichnis der Eisenbahnen in Deutschland, welche gegenwärtig befahren werden; mit Bezeichnung der Bahn-Länge, der Abfahrtsstunden und Zwischen-Stationen." (siehe Teilabb.)

Erschienen ist dieser komplette Fahrplan im Verlag der Ernst' schen Buchhandlung in Quedlinburg. 32 bis dahin gebaute Streckken sind verzeichnet; eine Auswahl: Altenburg-Crimmitschau; Berlin-Leipzig; Braunschweig-Harzburg; Düsseldorf-Elberfeld; Frankfurt-Wiesbaden; Nürnberg-Fürth; Budweis-Linz (Pferdebahn); Ferdinands-Nordbahn.

Das erste umfangreiche Werk in Buchform ist der "Eisenbahn-Atlas von Deutschland, Belgien und dem Elsass. Mit allen Fahrplänen, Tarifen, Betriebs-Verordnungen und sonst dahin gehörigen Nachweisungen sowie den speciellen Karten der bedeutenderen bis jetzt vollendeten Eisenbahnen."

Dieses Buch stammt von dem fürstl. Thurn- und Taxis'schen OberPostamts-Secretair U. Hendschel und es erschien im Jahre 1844 im Verlag C. Jügel in Frankfurt/M.

Die Bezeichnung "Eisenbahn-Atlas" ist etwas irreführend (im Jahre 1847 erschien ein richtiger Eisen-Bahn-Atlas bei Justus Perthes in Gotha - es gibt ihn nun als handkolorierten Nachdruck), doch der Untertitel weist besser auf den Gebrauchswert dieses Kursbuches hin: "Handbuch für Reisende und für Alle, welche sich dieses großartigen Transport-Mittels bedienen."

Nachstehend einige Auszüge aus der Fülle der Angaben dieses Kompendiums, welches die sehr hohe Summe von 2 Gulden 45 Kreuzer kostete (ein Eisenbahnarbeiter verdiente zu dieser Zeit am Tag rund 40 Kreuzer):

I. Hamburg-Bergedorf:

Eröffnet am 17. Mai 1842; Länge der Bahn: 2 1/10 deutsche Meilen; Anlage-Kapital: 740.000 Reichsthaler pr.Ct.; Kosten pr. Meile: 352.381 Reichsthaler pr.Ct. Nach dem eigentlichen Fahrplan kommen einige uns heute seltsam anmutende Bemerkungen wie z.B.:

"Die Abendfahrten richten sich während des Sommers nach der Thorsperre" oder "Tabackrauchen ist nur in den unbedeckten Wagen II. Classe gestattet."

II. Berlin-Stettin:

Die diesem Kapitel vorgeheftete Karte, die im kombinierten Buch- und Steindruck hergestellt und dann handkcoloriert ist, zeigt im Einzugsbereich der Bahnstrecke jeden einzelnen Ort, jede Kirche, jede Brief- und Poststation, die Haupt- und Extrapoststraßen und die Extrapost-Entfernungen in deutschen Meilen.

Wer kennt noch die Maßeinheiten von 1844 beim Gütertransport? Auf der Strecke Berlin- Stettin kostete "Ein Oxhoft Flüssigkeiten jeder Art = 5 Ctr." von Station zu Station 1 1/2 Silbergroschen oder eine Tonne Bier (= 100 Oxhoft) = 2 1/2 Ctr. oder eine Tonne "Häring" den gleichen Grundpreis. "Leinsaat, Waizen, kiefern, elfen und buken Knüppelholz und eichen Klobenholz" waren gängige Transportgüter.

Insgesamt sind 27 Strecken erfasst mit mehr oder weniger ausführlichen Vorschriften, um die Eisenbahn benutzbar zu machen. Wenn wir glauben, daß die Autoreisezüge eine Erfindung unserer Zeit sind, sollten wir umdenken. Natürlich gab es keine Autos, aber es gab Kutschen, die es zu verladen galt. Auf den Großherzoglich Badischen Eisenbahnen gab es einen Tarif für "Equipagen", der drei Klassifikationen aufwies:

"Classe I: Schwere Reisewagen, schwer beladene Fourgons und sonstige Wagen gleicher Kategorie;

Classe II: Leichtere Reisewagen, bepackte Reisekaleschen, leichte Fourgons und sonstige Wagen gleicher Categorie;

Classe III: Leichte unbepackte Reisekaleschen und anderes leichtes Fuhrwerk."

So wie man heute mit seinem Auto eine bestimmte Zeit vor Abfahrt des Autoreisezuges am Bahnhof zu sein hat, waren auch schon 1844 Regelungen vorgegeben: "Reise- und andere Wagen müssen an den Hauptstationen spätestens 1 Stunde vor Abgang der Dampfwagenfahrt überliefert" sein. So heißt es in den Tarifbestimmungen für die Strecke München-Augsburg. Es gab aber nicht nur Unterschiede bei den Tarifen für Tiere ("Pferde, Hunde und Vieh"), sondern auch bei der Beförderung von Menschen bei der Mitnahme der eigenen Kalesche: "Die Reisenden können in ihren eigenen Wagen Platz nehmen, müssen jedoch Fahrbillete II. Classe für sich selbst und III. Classe für das Dienstpersonal lösen."

Nicht vergessen werden darf der bekannte Postsecretair Wilhelm Görges, der unter anderem auch einen "Kurzen Bericht über die Dampfwagenfahrten auf sämmtlichen Deutschen Eisenbahnen" herausgab. Dieser "Bericht" enthielt einen Winter-Fahrplan, der ab 15. October 1844 gültig war und eine Eisenbahnkarte. Darüber hinaus war diese im Augenblick bekannte 3. Auflage von 1844 mit einer Beschreibung einer Lokomotive und zusätzlichen Skizzen angereichert.

awh

awh: Die ersten Fahrpläne und Kursbücher der Eisenbahn
In "Reiseleben" Heft 11, S. 22-26.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1985)
ISBN 3-922293-09-3


Bad OeynhausenTable of contentsNeues Europäisches Historisches Reise-Lexikon

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