Reiseleben, Heft 13 / 1986

Hans Baedeker

L. Laurence Boyle

(Alle Rechte dieses Textes bei L.L. Boyle, der Übersetzung bei Alex Hinrichsen)

Am 29. Juli 1874 als ältester Sohn von Fritz und Flöry in Leipzig geboren, war es Johannes Emil Friedrich Ferdinand Paul Baedeker fast vorbestimmt, welche Karriere er einzuschlagen haben werde. Am Thomas-Gymnasium lernte er Sophokles zu würdigen, und zwar durch den angesehenen Rektor Prof. Dr. Emil Jungmann. Er lernte griechische und lateinische Dichtung auswendig, und er lernte sogar Grundlagen des Hebräischen. Er erstieg das Wetterhorn (3703m) und lernte zu reiten; aber er interessierte sich nicht für andere Sportarten, obwohl sein Vater ihm an seinem 8. Geburtstag zu sportlichen Erfolgen gratuliert hatte. Musik und das Umgehen mit Zahlen gehörten nicht zu seinen Stärken.

Nachdem er die Schule verließ, studierte er Sprachen in Edinburgh (1893), Genf und Rom. Die Wahl der Universität zu Edinburgh war für ihn selbstverständlich, denn der Herausgeber der englischen Auflagen des Verlages war James Muirhead, der ein Absolvent von Edinburgh gewesen war. Sein Vorgänger, John Kirkpatrick, war dort Professor; er hatte seine herausgehobene Stellung dort aufgrund seiner 21-jährigen Erfahrung in Koblenz und Leipzig (1860-1881) erreicht. Obwohl Hans englisch, französisch und italienisch fließend sprach, wurde die englische Sprache zu seiner bevorzugten Fremdsprache, und es machte ihm Spaß, englische Zeitungen zu lesen. Als seine Eltern am 18. Juni 1898 die Silberhochzeit feierten, spielte er sogar einen typischen Engländer in der Komödie 'Festspiel'.

In Leipzig belegte Hans Vorlesungen in Geographie und Kunstgeschichte. Das letztgenannte Fach hatte ihn schon seit seiner Kinderfreundschaft mit Martha Engelmann, die eine Enkel in von Prof. Anton Springer war, besonders angesprochen. Prof. Springer war der Autor verschiedener Artikel über Kunstgeschichte in mehreren Baedeker-Reiseführern; er war eine imponierende Persönlichlichkeit mit großer Ausstrahlung tschechischer Abstammung, die nie aufhörte Hans zu beeinflussen; daher war Hans auch immer in engem Kontakt mit Kunsthistorikern. Hans hatte auch eine hohe Achtung vor Prof. Josef Bartsch, dem Leipziger Geographen, der ihm ein solches Detailwissen der praktischen Kartographie vermittelte, daß es ihm möglich war, gut mit den Berufskartographen bei Wagner & Debes zusammenzuarbeiten. Hans hatte auch die größte Hochachtung vor dem Ägyptologen Prof. Dr. Georg Steindorff.

Hans wurde in der Firma Mitarbeiter am 2. November 1899; ihm wurde die spezielle Verantwortung für die Ausgaben über Italien. Großbritannien, Frankreich und Paris übertragen. Er trat in die Fußspuren seines Großvaters, als er jeweils sechs Stunden an drei aufeinander folgenden Tagen im Jahre 1899 auf dem Friedhof Père Lachaise in Paris arbeitete, um neue kartographische Einzelheiten für den Plan im Maßstab 1:5000 zu liefern, der speziell für die zur Weltausstellung von 1900 vorgesehenen Paris - Ausgaben zu fertigen war.

In Florenz schaute er eines Abends von einer hohen Terrasse hinab auf die Stadt, als zwei englische Damen mit Baedekern in den Händen an die Balustrade traten, um die Sicht auf die Stadt einige Schritte von ihm entfernt zu genießen. Als eine der Damen zu ihrer Begleitung bemerkte, daß sie eine Anmerkung zum Dom im Baedeker nicht verstand, erbot sich Hans an, es zu erklären. Dabei nahm er seine deutsche Ausgabe aus der Tasche, wobei er von der Bemerkung: "Ich sehe, daß Sie eine deutsche Übersetzung haben. Das finde ich bemerkenswert; ich wußte nicht, daß Baedeker sie herausgibt." unterbrochen wurde.

Der von ihm verantwortete Band 'Mittel-Italien' (1900) war eines seiner schönsten und frühesten Erfolge. Er hatte seinen Vater davon überzeugt, daß die Barockarchitektur und -skulptur ausführlicher behandelt wurde in einer Veröffentlichung, die bisher den romanischen, gotischen und Renaissancegebäuden mehr Beachtung schenkte.

Hans heiratete Martha Engelmann am 2. April 1902; ihre Ehe war immer glücklich, beeinflusst lediglich durch den allgemeinen schlechten Gesundheitszustand von Martha und durch die Kinderlosigkeit. Sie lebten in einer Wohnung in der Davidstr. 1/II in Leipzig mit einer schönen Aussicht über den Park, die auch dem jetzigen Bewohner noch Freude macht. Die Wohnung war nur ein paar Schritte entfernt vom elterlichen Heim in der Plagwitzer Straße, und außerdem wohnten noch andere Angehörige der Familie Engelmann in einer anderen Wohnung desselben Hauses.

Hans nahm am 1. Weltkrieg als Oberleutnant der Reserve im Feldartillerieregiment Nr. 66 vom ersten Tag an teil. Er litt an einer ernsthaften Rippenfellentzündung, die er sich in einer der letzten Kämpfe des Jahres 1918 geholt hatte. Er ging nach Oberstdorf, um sie auszuheilen; er konnte nicht vor 1920 an die Arbeit zurückkehren, die Verantwortung hatte er auf seinen jüngeren Bruder Ernst übertragen. Eine weitere Hilfe kam im Jahre 1922, als sein jüngster Bruder Dietrich ('Diez'); der in Wien in Geographie promoviert hatte, in die Firma am 13. Januar als Mitarbeiter eintrat.

In Fragen der Führung war Hans immer der Auffassung, daß die Firma ein Familienbetrieb war und auf Partnerschaft aufgebaut ist. Aber es bleibt die Tatsache, daß er in der Zeit von 1925, als er nach dem Tode seines Vaters Seniorchef wurde, bis zu seinem eigenen Tode im Jahre 1959 immer der einzige richtige Geschäftsmann unter den verschiedenen Partnern war. Er hatte die Firma durch mehrere schlechte Zeiten zu steuern, nicht zuletzt im Hinblick auf finanzielle Probleme, als es der Wert der Mark im Verhältnis zum Pfund und zum Franc unrentabel machte, Bücher in England und Frankreich zu verkaufen. Trotz des Erfolges der Länderbände (Regionalbände) der Zeit von 1920 bis 1925 entsprach der zahlenmäßige Verkaufserfolg im Jahre 1929 ungefähr der Hälfte der verkauften Ausgaben von 1913. Die folgenden Zahlen können mit den Angaben aus Heft 10 von REISELEBEN verglichen werden: Eingebunden 134.000 Stück; Gesamtabsatz aller Bände 124.400 Stück; Absatz der englischen Bände 36.900 Stück; Umsatz: 805.000 Mark. Die Position verschlimmerte sich, als die Rezession zunahm und die Produktion im Dezember 1931 eingestellt werden mußte. Ein weiteres Problem war, daß das Familienvermögen in Kriegsanleihen gezeichnet worden war, deren Wert durch die Abwertung im Dezember 1923 zunichte gemacht wurde. Die reiche Firma Baedeker mußte sich Geld leihen, einerseits aus deutschen Quellen, andererseits bei Stanley Unwin. Die Anleihe aus London wurde durch einige tausend Reiseführer die deutschen Kredite durch Eintragungen auf das Firmengrundstück abgesichert.

Die Verbannung der Baedeker'schen Reiseführer aus Belgien im Jahre 1933, bis eine verletzende Passage über Freischärler umgeschrieben wurde, kann als eine komische Episode bei nachsichtiger Betrachtungsweise angesehen werden, so wie es die Zeitschrift 'Kladderadatsch' tat; die Einzelheiten dieser Geschichte werden zu einem späteren Zeitpunkt aufgezeigt. Als wenn dieses und die Rezession noch nicht genug gewesen wären, bauten die vom Nazi-Regime eingeführten Beschränkungen weitere Hürden auf. Der Propagandawert der Baedekerserien war erkannt worden; dieses wurde erreicht vermittels einer weltweiten Auswahl ausländischer Pressestimmen und einem Essay über die Unabhängigkeit der Baedeker. Obwohl anerkannt, stellten die Meyer'schen Reiseführer ihr Erscheinen ein; die dadurch freigewordenen Anlagen bei der Herstellung von Reiseführern im Bibliographischen Institut wurden genutzt, so daß Breitkopf & Härtel nicht mehr im Geschäft verblieben. Doch der Preis der Anerkennung war eine rigorose selbstveranlaßte Zensur, welche zu Kritiken außerhalb Deutschlands führten, die aussagten, daß die 1936er Ausgaben von 'Deutsches Reich' mit Nazipropaganda versehen waren. Hans argumentierte, daß man nicht über München schreiben könne, ohne auf die neuen Gebäude hinzuweisen, noch könne man Hitler auslassen aus der historischen Chronik von Deutschland. Aber zur gleichen Zeit hatte er Hinweise auf Heine und auf andere berühmte Juden zu entfernen, die in irgendeinem vollständigen Zusammenhang erwähnt hätten sein müssen; die bibliographischen Angaben hatten Werke auszuschließen, die allzu kritisch dem Nazi-Regime gegenüber standen.

Hans feierte seinen 60. Geburtstag in der 'Hohen Sonne' in der Nähe von Eisenach; und Leipzig feierte diesen Geburtstag durch Umbenennen der Langen Straße in 'Baedeker-Straße', allerdings nicht, um an ihn zu erinnern, sondern zu Ehren seines Großvaters Karl Baedeker; es war eine bescheidene aber charakteristische Durchführung eines Anerkennungsverfahrens. Hans dankte dem Bürgermeister für diese hohe Ehre, indem er hinzufügte, daß "noch vor wenigen Jahren ein amerikanischer Prospekt über Leipzig nur sagte: Die Stadt des Baedeker und des Tauchnitz, zwei Stunden von der Sixtinischen Madonna."

Nach dem zweiten Weltkrieg war die Firma in einem schlechten Zustand; sie bestand aus Hans, seinem Bruder Ernst - der am 9. Januar 1948 starb -, seinem Bruder Diez und Edy Reusch, der eigentlich zur Familie gehörte, da sein Vater einer der ersten Mitarbeiter der Leipziger Firma war. Die erste Aufgabe war es, einen Führer von Leipzig herzustellen, der 1948 erschien, dann zurückgezogen werden mußte und 1949 neu erschien. Dabei waren die ausgedruckten Angaben über die Sowjetische Zentral-Kommandantur auf den Seiten 61/62 und auf dem Stadtplan entfernt worden. Dieses war der letzte Baedeker, der in Leipzig herausgegeben worden war; aber das hieß für Hans nicht, der sich der Liberal-Demokratischen Partei angeschlossen und beschlossen hatte, in der russischen Zone zu bleiben, sich zurückzuziehen. Sein Neffe Karl-Friedrich, der als Redakteur von 1936-1939 gearbeitet hatte, erhielt eine Erlaubnis der Britischen Kontrollkommission, in der Britischen Besatzungszone Reiseführer zu veröffentlichen. Es kann als eine glückliche Fügung angesehen werden, daß der Verantwortliche in der Kontroll-Kommission kein Geringerer als H.A. Piehler war, der in Leipzig als Übersetzer bei Baedeker von 1911-1914 und in England als englischer Herausgeber von 1920-1939 gearbeitet hatte (später blieb er auf diesem Posten von 1953-1973). Reiseführer von Leipzig aus zu schreiben, war nicht mehr so einfach wie früher, aber trotzdem kann die Gründlichkeit, die Hans und Diez ihrer Arbeit widmeten, an der Paris-Ausgabe von 1956 ersehen werden. Mit Hans war während dieser Zeit nicht einfach umzugehen, er vermisste seine Frau, die am 22. Februar 1947 gestorben war; er fand Gefallen daran, an zahlreiche Kameraden des ersten Weltkrieges zu schreiben, die er ab und zu in Hamburg traf. Er erhielt den Titel des 'Vater Baedeker' als der älteste in diesen Kreisen; es freute ihn, daß sie ihm weiter schrieben, als er schon nicht mehr antworten konnte. Er starb am 4. Mai 1959, und er war einer der wenigen Baedeker, über den ein Nachruf (mit Foto) in der TIMES veröffentlicht wurde.

L. Laurence Boyle: Hans Baedeker
In "Reiseleben" Heft 13, S. 2-6.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1986)
ISBN 3-922293-11-5


Vorwort des HerausgebersTable of contentsT.C.I. - der italienische Baedeker

Reproduced by kind permission of Alex W. Hinrichsen. All copyrights acknowledged.

© 2004-15 bdkr.com  

bdkr.com P.O.Box 119 Cranbrook Kent TN18 5WB United Kingdom