Reiseleben, Heft 14 / 1987

Hans Rudolphi:

Die Entwicklung des Stadtplanes von Leipzig

Darstellungen von Städten können dreierlei Art sein: Abbildungen (Ansichten, Übersichtsbilder), Pläne (Karten großen Maßstabes) oder beides zugleich in einer Darstellung. Die einfachste Art ist die Seitenansicht (Profilansicht). Zeichner und damit auch Beschauer stehen auf dem Erdboden in einer gewissen Entfernung vor der Stadt, und diese erscheint ihnen mit ihren Mauern, Türmen und Häusern von der Ansichtsseite aus im Profil. Nur der dem Beschauer zugekehrte Teil ist für ihn tatsächlich sichtbar, meist aber sind zwei Seiten der Stadt in der Bildebene ausgestreckt dargestellt. Wird der Standpunkt etwas über den Boden erhöht, so erweitert sich das Gesichtsfeld, und man erblickt die ganze Stadt schräg von oben. Man sieht hauptsächlich die Dächer, Mauern und Türme. Es entsteht damit die Perspektivansicht (Schrägansicht, Vogelschau- oder Übersichtsbild), und man kann die Stadt in Kavalier-, Militär- oder Vogelperspektive darstellen. Wird der Standpunkt noch mehr erhöht, so wird- der Gesichtswinkel größer. Man sieht nicht nur die Dächer, sondern auch die Mauern der Häuser und kann in einzelne Straßen hineinblicken. Denkt sich der Beschauer endlich nahezu senkrecht über der Stadt stehend, so wird das Bild zu einem perspektivischen Grundriß, der sich von einem Plane nur dadurch unterscheidet, daß Häuser und Dächer immer noch in ihrer wirklichen Gestalt abgebildet werden. Straßen und Plätze erscheinen im Grundriß. Während wir heute die Städte im Stadtplan als reine geometrische Grundrisse, also zweidimensional abzubilden gewöhnt sind und meist auf jedes Aufrißbild verzichten, liebte man es früher lange Zeit, die ganze Stadt mit ihren Bauten bildlich im Auf riß oder öfters noch in Schrägansicht, also auch die dritte Dimension volkstümlich darzustellen. Der Beschauer sollte nicht nur die Kirchen und das Rathaus, sondern auch sein eigenes Haus in seiner wirklichen Gestalt auf dem Stadtbild erblicken. Bildmäßige Darstellungen, die lebhafter und anschaulicher wirken, hatten dem Beschauer mehr zu sagen als geometrische Pläne, unter denen mehrere erschienen sind. Nur einige von ihnen können hier genannt werden. 1804 erschien der "Grundriß von Leipzig" von G. Benj. Meißner (1:9000, 31:29 2/3, bei C.G. Weigel); 1814 ein Plan von Leipzig mit seinen Vorstädten (1:6000, 32:34), auf dem Napoleons Weg bei seiner Flucht durch die Stadt rot eingezeichnet ist. Ein großer Plan, gez. von Heinr. Müller ist der "Neueste Grundriß der Stadt Leipzig, veranstaltet von Georg Voß 1814" (1:4200, 73 3/4:51). 1819 erschien bei Schreibers Erben ein "Grundriß der Stadt Leipzig nach deren Einteilung in die vier Viertel der Stadt und Vorstadt" (1:6300, 46 1/2:32 1/2) von Leutemann. Dieser Plan ist auch 1834 und 1841 neu aufgelegt worden (bei C.A. Murchner, 47 1/2:33, und bei Louis Rocca). Eine hervorragende Stellung nimmt unter den Grundrissen der Stadt und ihrer weiteren Umgegend in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts der große Plan von Leipzig und Umgebung 1:8000 von Major v. Felden und v. Orlich ein, der 1828 bei Schropp & Co. in Berlin erschienen ist. Er ist ein Atlas von 80 Blättern (je 47:47) und reicht im W bis über die Saale hinaus, im S bis Pegau, Groitzsch und Rötha und im 0 bis nach Taucha und Braudis. Das große Werk, das nach NW orientiert ist, wurde mit Unterstützung des Preußischen Kriegsministeriums zum Studium der Leipziger Schlachtfelder herausgegeben. Das Gelände ist in Müfflingschen Schraffen dargestellt. Besonders zahlreich vertreten sind in den 20er bis 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts die von der Hinrichsschen Buchhandlung und die in den 40er bis 70er Jahren von Louis Rocca herausgegebenen Pläne. Als Zeichner oder Stecher der Pläne seien genannt C.W. Gerlach, H. Leutemann, G. Hetzei, W. Rentsch, Herm. Volbeding, A. Eltzner, Heinr. Lesch, C. Piil, J. Runge, C.G. Böhme, E.A. Rommel, Jul. Keyl, J.G. Busch, W. Bruckner und Paul Lissel. Verlegt und hergestellt wurden die Pläne bei J.G. Wießner, J.A. Barth, G. Schubert, J.G. Bach, Polet, Thomas, Friedr. Gröber, Friedr. Krätzschmar, J.J. Weber, C.L. Hirschfeld, Georg Wigand, Lorck, Friedlein, Friedr. Fleischer, C. Opitz, C.H. Reclam, F.A. Brockhaus, Alex. Edelmann, Wagner & Debes, Ed. Gaebler, M.G. Priber, im Bibliographischen Institut und bei Giesecke & Devrient. Durch die Reisehandbücher von Baedeker, Meyer, Woerl und Grieben, die Konversationslexika von Meyer und Brockhaus und Meyers Deutschen Städteatlas sind die Pläne in weiten Kreisen bekannt geworden. In den letzten Jahrzehnten haben die von Paul Lissel (Verlag von Franz Winter), Siegfr. Schlussheim, Graupner & Körner, Karl Starke, Ed. Gaebler und Otto Dietrich, sowie der Pharusplan und der Stadtplan des Vermessungsamtes weite Verbreitung erlangt.

Wir sprechen heute meist von einem Plan oder Stadtplan, seltener von Verkehrsplan, Übersichtsplan oder Generalisationsplan. Früher sprach man allgemein von Abriß, Grundriß, Projekt, Situation oder Charte, seltener von Situations-, Weichbild- oder Orientierungsplan. Das Wort Plan tritt erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts häufiger auf und überwiegt im 19. Jahrhundert. Im 17. und 18. Jahrhundert spricht man dagegen meist von Grundriß oder Abriß. Alte Stadtpläne haben oft nach dem Geschmacke des 17. und 18. Jahrhunderts schwungvolle, schwülstige und langatmige Namen wie die Buchtitel jener Zeiten. Man liebte es, der Stadt schmückende Beinamen zu geben, unter denen der Name Handelsstadt an erster Stelle steht. Im 17. und 18. Jahrhundert ist häufig auch der Charakter Leipzigs als Stadt und Festung im Namen des Planes ausgedrückt.

Auch die Ausstellungen und Feste der letzten Jahrzehnte haben zur Ausgabe vieler Pläne und einiger Vogelschaubilder Anlaß gegeben; 1897 die Sächs.-Thür. Industrie- und Gewerbeausstellung, 1913 die Iba und 1914 die Bugra, ferner die Turnfeste 1863 und 1913. In neuester Zeit werden auch für die Messe besondere Meßpläne der inneren Stadt herausgegeben.

Viele der älteren Pläne sind einfarbig schwarz gehalten, andere gestochene wieder mit der Hand bunt ausgemalt. Wir finden da die verschiedensten Farben, da man noch kein einheitliches Farbschema besaß. Oft sind auf älteren Plänen die Stadtviertel und die Vorstädte durch besondere Farben unterschieden, auf anderen die Häuserblöcke und die Straßen verschieden ausgemalt, oft auch die Durchgänge als Straßen koloriert. Schon im 18. Jahrhundert hob man häufig auch die öffentlichen Gebäude durch besondere Farben hervor. Das heute übliche Schema, die Häuserblöcke rot oder rosa, seltener grau oder braun, Wald, Wiese und Park grün und das Wasser blau zu zeichnen, ist erst im 19. Jahrhundert entstanden. Sind ältere Pläne ausgemalt, so zeigen sie häufig einen großen Farbreichtum, gegen den die modernen Pläne nüchtern wirken.

Der Grundriß der Altstadt hat sich bis auf unsere Tage sehr wenig verändert. Sie zeigt heute wie im 16. Jahrhundert denselben Umriß mit der durch den Lauf der Pleiße bedingten Einbuchtung im W. Auch das Straßennetz ist in seinen Hauptzügen unverändert geblieben. Nur im Gebiete des Neuen Rathauses und längs der ehemaligen Stadtmauer hat es sich durch Durchbrüche und Neuanlegung von Straßen etwas verändert, manche Straßen sind auch verbreitert worden. Die meisten Straßennamen der inneren Stadt sind dieselben wie vor 400 Jahren, nur daß man früher von Catter- oder Catherstraße (Katharinenstr.), Heustraße (Hainstr.), Altem und Neuem Neumarkt (Universitätsstr. und Neumarkt), Neukirchhof (Matthäikirchhof), Eselsplatz (Ritterstr. am Palais) und Stadtpfeiffergäßchen (Magazingasse) sprach. Viel mehr haben sich die Namen der Vorstadt- und Vorortsstraßen geändert. Auch hat sich bei den Vorstädten das Straßenbild erst allmählich aus Gärten, Teichen und Feldern entwickelt.

Die Stadtpläne der letzten 50 Jahre zeigen nicht nur eine von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wachsende bebaute Fläche, die mächtige Vergrößerung und Verschmelzung der aus bescheidenen Dörfern hervorgegangenen Vororte zu großen Siedlungskomplexen und eine immer weiter hinausrückende Stadtgrenze, sie sind auch gegen früher viel mannigfaltiger und abwechslungsreicher geworden. Ein ganz neues Element tritt im Stadtplan des 19. Jahrhunderts auf, das moderne Verkehrswesen. Jahrzehntelang sind es zuerst nur die Eisenbahn und Bahnhöfe, die eine Neuerscheinung auf dem Stadtplan bilden. 1836 zeigt der Plan von Lesch zum ersten Male die Dresdner Bahn, der auf späteren Plänen 1840 die Magdeburger, 1842 die Bayrische, 1846 die Thüringer, 1859 die Berliner und 1874 die Eilenburger Bahn folgen. Verbindungsbahnen zwischen den nach allen Seiten hin ausstrahlenden Bahnlinien entstehen dann im Umkreise der Stadt. Die älteste ist die zwischen der Bayrischen und der Dresdner Bahn, die seit 1851 durch die heutige Johannisallee, weiter draußen liegende Linie über Stötteritz ersetzt. 1888 wurde die Verbindungsbahn zwischen der Bayrischen Bahn und Plagwitz eröffnet. Die Dresdner Bahn verlief ehemals mehr im Stadtgebiete; sie ging an der heutigen Eisenbahnstraße entlang, die nach ihr benannt ist. Mit der Zusammenfassung der meisten in Leipzig mündenden Eisenbahnen im Hauptbahnhofe sind dann seit den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts große Gleisverlegungen, neue Güter- und Freiladebahnhöfe und namentlich im N mehrere neue Verbindungsbahnen entstanden. 1872 tritt im Stadtplan ein anderes neues Element auf, die Straßenbahn. Die ersten Linien der Pferdebahn durchziehen im Jahre 1872 die Stadt. Aus dieser Zeit stammt ein englischer Plan "Leipzig and its environs", 1:22000, der die Anfänge der mit englischem Kapital gegründeten Pferdebahn zeigt. Mit ihrer Umwandlung in eine elektrische Straßenbahn im Jahre 1896 und der Entstehung einer zweiten Gesellschaft wird ihr Netz dann immer dichter, und es greift mit den Linien der Außenbahn immer weiter hinaus, sogar über die Staatsgrenze nach Preußen hinüber. Die neuesten Pläne unterscheiden durch besondere Signaturen (Zahlen oder Buchstaben) auch die einzelnen Linien der Straßenbahn. 1913 kommen dann noch die Linien der Kraftomnibusse hinzu, die jetzt wieder aus dem Stadtbilde verschwunden sind."

Hans Rudolphi: Die Entwicklung des Stadtplanes von Leipzig
In "Reiseleben" Heft 14, S. 41-44.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1987)
ISBN 3-922293-12-3


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