Reisen und leben, Heft 15 / 1987

Johan van Minnen:

Die Weser

Frage einen Niederländer, welcher Fluß ihm am "deutschesten" erscheint. Er wird mit Rhein, Donau oder Neisse jonglieren. Beim Rundfunk staunte man dann auch nicht schlecht über meinen Vorschlag, die WESER auszuprobieren.

Wo liege denn dieses Rinnsal? Aha, etwa zwischen dem Herrn Baron von Münchhausen und dem steckbrieflich gesuchten Rattenkinderfänger von Hameln? Da hatte man einen Leitgedanken. Wie wäre es dann übrigens mit einer weiteren geschichtlichen Ergänzung über die Hansepartnerschaft auf der Linie Bremen-Münden (nein! Von Konkurrenz war bei der Hanse nie die Rede, dafür haben wir 1000 Jahre später die EG erfunden); des weiteren die nicht weniger prägende historische Geburtshilfe aus Bad Pyrmont, der wir schließlich den Fortbestand unseres Königshauses verdanken (und dies vor genau 100 Jahren - Zeitgeschichte also); obendrein noch den mittelalterlichen Missionseifer der Nobelmönche von Corvey, der bis nach Friesland (in den Niederlanden) reichte. Ergänzt würde dieses zu sein um die berauschende Vorgeschichte des Teutoburger Waldes, wo nebenbei bemerkt in der Feriensaison mehr Niederländer gesichtet werden können als im nationaleigenen Zandvoort (dort gilt dieses für die Deutschen genau umgekehrt).

Dies alles gehört zur Weser. Dies alles, und außerdem noch einiges mehr! Die liebenswürdigen Kollegen im Rundfunk wollten dann plötzlich auch gleich mitkommen; mit einem namens Kees Slager führt ich die 'Forschungsreise' an das hier unbekannte Gewässer durch.

Daß unser Programm dem kleinen, aber feinen Bereich der 'Kultur' zugerechnet werden muß, dementsprechend niedrig finanziert und ins fünfte (letzte) Hörfunkglied abgeschoben wird, darf weder verschwiegen noch bedauert werden. So hatten wir zwei volle Sendestunden zur Verfügung (wo gibt's das heutzutage im Dampfradio noch?); im Popshop des Fernsehens wären es höchstens zwei volle Minuten gewesen.

Und wenn man auch, statt 400 000 Kulissenhörer nur 40 000 Stammkunden aufzuweisen hat, so sind dieses aber wahre Interessenten, die manchmal noch zusätzlich zu reagieren wissen und sich nicht scheuen, an Ort und Stelle persönlich diese Reportage nachzuempfinden. Also, liebe Weserländer, haben Sie Verständnis, sobald die Radiohörer kommen!

Wir waren also da. Zehn Tage, das müßte doch reichen, meinte der Intendant, der sich selber mit einer Woche Flug (alles inbegriffen) zu den Kanarischen Inseln zu begnügen pflegt. Nach sieben Tagen standen wir immer noch im Weserbergland, hatten immer noch nicht die Porta Westfalica durchschritten, hatten dennoch genausowenig das Gefühl, irgendwo Zeit vergeudet zu haben.

Dafür besaßen wir mittlerweile um die zwanzig aufgenommene Stunden auf dem Sony Professional Walkman der Gott sei Dank inzwischen technisch so perfekt ist (und preislich kaum billiger) als die traditionellen Rundfunkaufnahmegeräte, ohne deren volles Gepäck mitschleppen zu müssen. Denn wir wollten partout das vollziehen, was wir unseren Touristen wünschen: Mit dem Auto nur anzufahren, den Streifzug dann aber mit der Vielfalt, die die Weser zu bieten hat, zu absolvieren bis hin zum Kanu und (Holland-)Fahrrad.

Die Gestaltung von zwei langen Rundfunkstunden fängt immer an mit dem dumpfen Gefühl, von unten gegen einen hohen Berg emporzublicken. Schnell muß die Sache dann aber doch vom Gipfel aus betrachtet werden: Wie bekomme ich alles, was ich aufgenommen und erlebt habe, in die zwei Stunden hinein? Im Klartext: Sogar zwei Stunden sind noch zu kurz, bilden den maximalen Rahmen für einen schonungslosen Selektionsprozeß, eine Auswahl, die bei den Hörern (gemeint sind natürlich genauso die Hörerinnen!) - denen man sowieso kein Gesamtwerk zumuten darf (zwanzig Stunden Weserwellen, was das wohl wäre!) - zu jeder Zeit keinen Augenblick das Gefühl aufkommen lassen darf, da fehlt doch noch was!

Wir kamen zusammen mit der Großfamilie Grimm, mit dem etwas weniger wissenschaftlich fabulierenden Münchhausen ("Gibt es den denn wirklich?", wunderten sich meine Kinder, die ihn bislang eher ins Grimm'sche Hans-und-Gretel-Ressort eingestuft hatten), und natürlich mit dem Bibliothekar Hoffmann von Fallersleben, der im Sendeprogramm unvermeidlich verantwortlich zeichnete für die Musik. Auch das gehobene gesprochene Wort kommt ohne Musikton nicht aus - mindestens eine halbe Stunde, so lautete die Anweisung vom Sender - wo wären wir da geblieben ohne die mannigfachen und verschiedenartigen Versionen des Deutschlandliedes?

Doch - wir wären vielleicht in Holzminden geblieben. Es begrüßte uns da immerhin am Dampferanleger (wir erreichten ihn weder mit dem Kanu, noch mit der MR, sondern mit einem der Weserkaffeefahrtenschiffe) die örtliche Liedertafel (die damit sogleich ihr Debut im niederländischen Rundfunk machen konnte) mit drei wunderschönen Weserliedern. Frisia non cantat, müssen wir uns andauernd nachsagen lassen, und Bonn cantat genausowenig, erwidern wir immer darauf - aber die Weser, die kann singen!

Ein halbes Dutzend europäische Ströme war das Sommerthema unseres niederländischen Rundfunksenders. Die Weser hat sich hierbei u.a. mit der Themse messen können. ich glaube, die Weser hat gewonnen - freilich war ich an der Themse nicht dabei. Warum soll ich dieses nicht subjektiv aussprechen - es tut so wohl - gegenüber einem objektiven Aktenstudium?

Urlaub machen ist erlaubt, genauso wie eine Rundfunksendung gestalten. Wo eine Rundfunksendung dann zum Urlaub wird, ist der Glückskreis geschlossen. Etwas von dieser Entspannung haben wir unseren Hörern zu vermitteln versucht, in Impressionen, in Suggestiveffekten.

Typisch deutsch sollte der Fluß sein, den wir uns auszusuchen hatten. Zweifelsohne ist die Weser eine Wasserader, durch die das Deutschtum mit allen seinen Aspekten fließt. Es stört aber nicht. Es bereichert nur.

Grundsätzlich ist der einzige Führer, zu dem ich ein positives Verhältnis haben kann, der Reiseführer. An der Weser sind wir ihm begegnet, in geschriebener Form, vor allem aber lebendig. Dies bekundet, im Fernweh, das zum Heimweh wird, der, der sich fortan stammväterlich nennen wird.

Johan van Minden

Wer diese Sendung im Original hören möchte, kann einen Tonbandmitschnitt davon in den Niederlanden bestellen. Auf zwei Kassetten ist alles aufgezeichnet; in einem Schuber mit einem kleinen Begleitheft wird dieses ausgeliefert. Um die Kassette zu bekommen, überweise man hfl. 25.-- auf das Postgirokonto 444 600 zu Gunsten von VPRO Radio Hilversum unter dem Stichwort "Die Weser".

Johan van Minnen: Die Weser
In "Reisen und leben" Heft 15, S. 16-18.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1987)
ISBN 3-922293-15-8


1. Deutsches Tourismus-MuseumTable of contentsDas kleine Logbuch

Reproduced by kind permission of Alex W. Hinrichsen. All copyrights acknowledged.

© 2004-15 bdkr.com  

bdkr.com P.O.Box 119 Cranbrook Kent TN18 5WB United Kingdom