Reisen und leben, Heft 15 / 1987

Otto Flake:

Das kleine Logbuch

Ein Berliner Antiquar hatte für den Schreiber dieser Zeilen eine Fotokopie aus dem im Titel genannten Buch gemacht, denn er meinte, dieses könnte für REISELEBEN eine Bereicherung sein. Just zu diesem Zeitpunkt betrat der, für den die Kopien gedacht waren, das Geschäft und kaufte das Buch, aus dem nachstehend ein Auszug wiedergegeben wird:

"Alter Baedeker,

Er ist von 1867 und beschreibt Paris. Ein Freund erstand ihn für fünfzig Rappen und ich bezahlte dem Freund im Cafe eine Schale Gold dafür; er hat nach fünfzig Jahren zwei Menschen eine fröhliche Stunde bereitet.

Es war ebenso hübsch, den großväterlichen Herrn Karl Baedeker wie das großväterliche Paris kennenzulernen, denn in diesem Buch tritt der Erfinder des deutschen Reisehandbuchs noch höchst persönlich auf; seither ist sein Werk anonym geworden, fast sind die roten Einbände das einzige, was sich erhielt.

Das Vorwort ist mehr Rechtfertigung als Begründung, und man findet Aphorismen darin. "Nichts ist störender, als das Entfalten eines großen Plans auf belebten Straßen. Schlecht zu speisen gehört unter allen Umständen nicht zu den Annehmlichkeiten des Lebens. Paris ist zwar ein gutes Stück Frankreich, aber noch lang nicht das ganze."

Mit rührender Umständlichkeit schreibt er Sätze wie folgenden: "Da aber gerade diese Dinge von Zufälligkeiten der Zunge abhängig und sehr häufig auch dem Wechsel unterworfen sind, so soll der Stern nur dartun, daß dem Verfasser Essen und Trinken an dem Tage, wo er in dem betreffenden Hause gespeiset hat, nach Verhältnis gut und preiswürdig erschienen sind." Das ist also die Geburt des Baedekerschen Sterns, der viele Tausende nach Babel geführt hat.

Man entnimmt dem Satz, daß der Verfasser selbst ausgezogen ist, selbst notierte, selbst die Notizen zusammenstellte - welche Arbeit. Aber noch klingt der Ton an, den man aus Reisebeschreibungen früherer Jahrhunderte kennt: die Entdeckerfreude, das Selbstbewußtsein des Erfahrnen, die Freude, gewonnene Erfahrung mitzuteilen. Die Leser, an die er sich wendet, sind eigentlich die daheim Zurückgebliebenen, die sich Pädagogik gefallen lassen müssen. Sie werden verstehend genickt haben, wenn sie lasen: "Deutsche Dukaten und Pistolen haben in Frankreich denselben Klang wie englische Souvereigns. Wer dem Franzosen Gold mit vollen Händen zuträgt, ist ihm willkommen; dieser macht dann keine Ausnahme von andren Völkern."

Er weist an: wer Besuche machen will, vergesse den Zylinderhut nicht; beschreibt (wahrhaftig) wie man Briefe in den Briefkasten wirft (ein Brief nach Köln kostet vierzig, nach Berlin fünfzig Centimes, ein Telegramm ebendahin vier Franken). Bei der Adresse der deutschen Gesandtschaften (Baden, Bayern, Hessen, Mecklenburg, Preußen, Württemberg, ihrer sechs) wird erwähnt, daß "hin und wieder wohl ein Wohnungswechsel vorkommt". Welch reizende, an alles denkende Pedanterie.

Andere Züge des alten Herrn sind: die Sparsamkeit und der Bildungseifer; beide Züge gut deutsch und stimmungshaft zurückversetzend in die ärmliche Zeit eines - inzwischen wieder verarmten Volkes. Er empfiehlt, die Preise gleich bei Ankunft in Gegenwart des Hotelwirts zu notieren, danach breit die Auseinandersetzung des zu gebenden Trinkgelds: "Weniger als zehn Centimes (beim Frühstück) zu geben, ist nicht üblich. Der Kellner bedankt sich zwar auch für die Hälfte, ruft dann aber laut, indem er den Sou in die Büchse steckt: "Un sou pour le garçon". Folgt wieder ein Aphorismus, wie alle Aphorismen mit "Nichts ist" anfangend: "Nichts ist unterhaltender, als mit der Zigarre bei einer demitasse die Menge an sich vorüberfluthen zu lassen". Ja, so saßen auch wir fünfundvierzig Jahre später auf den Boulevards, wenn wir auch die Zigarre mit der Zigarette vertauscht hatten, von der Baedeker folgendes zu berichten weiß:

"Papier-Zigarren (cigarettes), zwei für fünf Centimes, sind für den, der sich an sie gewöhnt, nicht übel. Man muß sich aber hüten, sie vom Hausierer auf der Straße zu kaufen, der sie von zusammengelesenen Zigarrenstummeln selbst zu verfertigen pflegt."

Damit man die Preise in den Restaurants beurteilen könne, setzt er als Maßstab das Beefsteak fest; man bekommt es von fünfzig Centimes an, auf in das Paris Offenbachs! Er sagt aber selbst, diese englische Erfindung sei nicht das Beste der französischen Kochkunst. Engländer - wo etwas teuer und gut war, verkehrten schon damals die Engländer, und wo die Bemerkung "Viele Deutsche" steht, war es billig. Wenn wieder Baedekers Paris gekauft werden wird, wird es sein wie damals, dazwischen lag der Wohlstand.

Auf achtzigtausend Köpfe schätzt er die deutsche Kolonie in Paris; Deutsche waren alle Spediteure, viele Schneider, Kellner, Buchhändler, Bankiers. Das war noch 1914 so, nur die Berliner Kokotten waren dazugekommen. Auf die Rubrik Kaufläden folgt die der Straßenrufe, der cris de Paris, deren Text er gibt, wie er ein Kapitel den Kinderspielen widmet und sogar die Noten dazusetzt. Diese hübschen Abschnitte sind längst verschwunden.

Er beobachtet alles, selbst wie es sich mit Damenhüten verhält: "Die besten Läden geben keine Preise an, die Läden, welche Preise bei den Hüten angeben, stehen eine bedeutende Stufe niedriger. Zwischen beiden möchten sich die vielen Hutläden in der Passage du Saumon halten; eine echte Pariserin sagt aber nicht, daß sie dort ihren Hut gekauft hat."

Er war eifrig, ein wenig philiströs, wie es seine Aufgabe mit sich brachte, und gern philologisch wie alle Deutschen. Wenn er vom Theater in Straßburg, damals einer verlornen Provinzstadt, bemerkt, daß auf dem Portal sechs Musen stehn, fügt er die Namen dieser Göttinnen hinzu und versieht sie sogar mit Länge- und Kürzezeichen, damit nicht einer Thália statt Thalía sagt.

Er ist so deutsch, daß er die Beschreibung Versailles damit beginnt, es habe viel Ähnlichkeit mit Potsdam, dieselben breiten stillen Straßen, dieselbe Bauart der Häuser - Ludwig XIV. als Nachahmer Friedrichs II. Im Krieg mokierte sich einmal eine französische Zeitung über diesen Satz, der sich bis auf die heutigen Auflagen erhalten hat, und tat Karl Baedeker doch unrecht, er hat sich nur ungeschickt ausgedrückt. Sein Buch ist vielmehr eine Huldigung für Paris, dessen Primat als Ort der Freude, des Sehenswerten, der Vitalität, des Gewachsnen und Gewordnen aus jedem seiner Sätze spricht.

Er war ein Beobachter über Mittelmaß, und seine Umständlichkeit ist liebenswert, es ist die unserer Väter, die sich, wenn sie eine Arbeit um des eignen Nutzens willen unternahmen, vom Nutzen der Allgemeinheit führen ließen. Sein Werk verbreitete sich über die Welt, und wenn der Franzose durch sein eignes Land reiste, nahm er den Baedeker mit. Das wird vorüber sein, auch Baedeker war ein Symbol deutscher Expansion."

Soweit dieser Auszug, der während der Zeit des 1. Weltkrieges entstanden ist.

Bibliographie: Otto Flake: Das kleine Logbuch, S. Fischer Verlag, Berlin, o.J. (um 1921)

Otto Flake, geb. 29.10.1882 in Metz, gest. 10.11.1963 in Baden-Baden. Er beschäftigte sich geistig und thematisch mit dem deutsch-französischen Grenzraum.

Karl Baedeker: Paris und Nord-Frankreich nebst den Eisenbahn - Routen vom Rhein und der Schweiz nach Paris, Coblenz 1867. Dieser Band ist von Karl Baedeker jun. herausgegeben worden, und zwar als 6. Auflage. 1867 war in Paris die Weltausstellung, an der auch sehr viele deutsche Firmen erfolgreich beteiligt waren.

Otto Flake: Das kleine Logbuch
In "Reisen und leben" Heft 15, S. 18-21.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1987)
ISBN 3-922293-15-8


Die WeserTable of contentsStudienkonferenz: "Wegweiser in die Fremde?"

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