Reisen und leben, Heft 16 / 1988

Heinrich Krohn:

Karl Baedeker und seine Konkurrenten (gekürzt)

Reisehandbücher oder Anweisungen in der Kunst des richtigen Reisens hatte es auch schon vor Baedeker gegeben. 1563 war erstmals ein Werk mit der Bezeichnung Reisebuch in deutscher Sprache erschienen; es ist Jörg Gails "Ein neuwes nützliches Raißbüchlin der fürnemesten Land und Stett". Das kleinformatige Handbuch führt nicht nur eine Vielzahl von mit Meilenangaben versehenen Reiserouten auf, es nennt auch die wichtigsten Alpenübergänge und besitzt ein ausführliches Ortsregister. Mitte des 17. Jahrhunderts verfaßt der Ulmer Gelehrte Martin Zeiller eine Reihe voluminöser Reisehandbücher, "Itineraria oder Rayßbeschreibung" genannt. 1651 erscheint dann Zeillers "Fidus Achates oder der getreue Rayßgefehrt". Das kleine, kompakte Handbuch enthält neben zahlreichen Reiserouten auch viele nützliche Ratschläge und Anweisungen, so daß ihm später das Prädikat "erster Baedeker in deutscher Sprache" zuerkannt wird. 1703 erscheint in Hamburg "Die vornehmsten europäischen Reisen" des Peter Ambrosius Lehmann mit zahlreichen Streckenbeschreibungen und - heute eine höchst informative Quelle für die Geschichte des Postfuhrwesens - mit den Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Postkutschen in den verschiedenen deutschen Städten. Außerdem enthält das Handbuch eine längere Vorrede von "Notwendig- und Nutzbarkeit des Reisens". Da wird etwa dem Reisenden empfohlen, so bald er sein Schlafgemach betritt, "so durchsuche er sein Bettzeug ein wenig, ob es nicht mit unreinen Leylachen versehen. Man kann öfters nicht wissen, was vor ein siecher Leib herausgestiegen, darinnen ein gesunder wieder hineinsteigen soll.- Am rathsamsten ist, man versehe sich mit einem Schlafrock und leinenen Unterkleidern und lege sich damit in Gottes Namen nieder." Solche Ratschläge und Anweisungen nehmen in manchen Reiseführern der damaligen Zeit breiten Raum ein, ihr Studium kann höchst unterhaltsam und vergnüglich sein. Lehmanns "Vornehmste europäische Reisen" erscheinen in immer neuen Auflagen das ganze 18. Jahrhundert hindurch, sie werden später nach dem Tod des Verfassers von Gottlob Friedrich Krebel fortgeführt, noch 1801 kommt in Hamburg eine 16. Auflage des Werkes heraus.

Dieser langanhaltende Erfolg mag auch Vorbild gewesen sein für einen anderen Bestseller unter den Reiseführern, der im selben Jahr 1801 in der ersten Auflage erscheint und schließlich zum Marktführer unter den Reisehandbüchern deutscher Sprache werden sollte. Gegen ihn mußte sich später Karl Baedeker mit seinen Erstlingswerken vor allem durchsetzen. Es war "Der Passagier auf der Reise. Ein Reisehandbuch für Jedermann" von Heinrich August Ottokar Reichard.

Der 1751 in Gotha geborene Reichard hatte anfangs Rechtswissenschaft studiert, wurde dann Hofbibliothekar und später Herzoglich Gothaischer Kriegsrat. Als Schriftsteller betätigte er sich auf den verschiedensten Gebieten, übersetzte auch französische Operetten und Reisebeschreibungen. Dies mag Reichard veranlaßt haben, 1784 dann selbst ein "Handbuch für Reisende aus allen Ständen" herauszubringen, in dem er allerdings noch in erheblichem Umfang Material anderer Verfasser verwendet. 1801 erscheint Reichards "Passagier auf der Reise in Deutschland und einigen angränzenden Ländern". Schon der Titel "Passagier auf der Reise" verrät Bestsellerqualität und wird bald zu einem feststehenden Begriff, wie es ja später in noch viel stärkerem Maße mit dem Namen Baedeker geschehen sollte. Reichard gibt aber seinem Werk auch noch einen Untertitel, der zeigt, wo der Verfasser die Zielgruppe für seine Publikation sieht. Er lautet: "Ein Reisehandbuch für Jedermann". Hier wurde geschickt darauf hingewiesen, daß jetzt infolge der durch die französische Revolution auch in Deutschland ausgelösten sozialen Verschiebungen das Reisen nicht mehr ausschließlich ein Privileg der höheren Stände war. Herr Jedermann, das waren eben die allerlei Reisenden, die sich nun aufgemacht hatten, fremde Städte und Länder kennen zu lernen. Wer es sich jetzt leisten konnte, der besuchte die deutschen Residenzstädte und -städtchen, fuhr mit der Diligence nach Paris. Man hatte aber auch die Landschaft entdeckt: Eine Fußwanderung auf den Brocken, das waren seinerzeit die Höhepunkte touristischer Freuden.

Wer sich da nun auf den Weg machte und dabei Zeit und Geld richtig einteilen, alles sehn und nichts versäumen wollte, der hatte wohl guten Rat nötig. Den aber fand er nun in Reichards Handbuch. Der Verfasser hatte eben erkannt, daß dieser Herr Jedermann, der sich soeben anschickte, das Reisen so recht eigentlich zu lernen, seiner Hilfe bedurfte. Schon im Vorwort schreibt er: "Wenig Reisende werden von ihren Reisen zurückkommen, ohne zu gestehen, wenn sie aufrichtig sein wollen - daß sie haben Lehrgeld geben müssen! Und dieses manchmal hohe Lehrgeld, wo nicht zu ersparen, so doch zu mindern, war die Hauptaufgabe von gegenwärtigem Handbuche!"

Dann aber folgen vor jeder Landes-, Orts- und Reiseroutenbeschreibung auf über 200 Seiten eine Vielzahl von Ratschlägen und Empfehlungen über das richtige Verhalten auf Reisen. Solche, auch gerne Apodemik genannten Anweisungen waren in älteren Reisehandbüchern immer schon sehr beliebt gewesen, Justin Stagl hat ihnen erst vor wenigen Jahren eine längere Forschungsarbeit gewidmet. Reichard nun läßt seinen Leser bei keiner Situation ohne den entsprechenden Ratschlag: Da gibt es ein Kapitel über die verschiedenen Arten zu reisen, eines "wie sich Reisende in Rücksicht ihrer Gesundheit verhalten sollen", eines über "Geldkurs und Münzwesen in Deutschland und den angränzenden Ländern" oder ein anderes über "das richtige Verhalten des Reisenden im Wirtshaus".

Was aber nun bot Reichard seinen Lesern noch über diese gut gemeinten Ratschläge hinaus? Das waren zum einen rund 150 Routenbeschreibungen der wichtigsten Straßenverbindungen innerhalb Deutschlands und Österreichs, in die jeweils an der entsprechenden Stelle auch die Darstellungen der bedeutenderen Städte eingearbeitet waren. In einem besonderen Teil des "Passagiers" brachte der Verfasser dann auch eine Beschreibung von über 200 Bade- und Kurorten. Schließlich sind noch besondere Abschnitte der Reise auf Donau und Rhein sowie der Fahrt nach Paris und St. Petersburg gewidmet. In einem ausführlichen Kapitel befaßt sich Reichard auch noch mit einer Reise in die Schweiz, die ja in jenen Jahren sowas wie der absolute Höhepunkt aller touristischen Freuden war. Dabei entnimmt der Verfasser sein Material allerdings dem seinerzeitigen Standardwerk über das Reisen in der Alpenrepublik, nämlich Ebels "Anleitung, die Schweiz auf die nützlichste und genußvollste Art zu bereisen". Seit 1793 erscheint dieser mit 4 Bänden sehr voluminöse Reiseführer in mehreren Sprachen und immer neuen Auflagen, später wird er dann von Ebels Nachfolgern zu einer einbändigen Ausgabe zusammengekürzt, noch 1857 kommt bei Hachette in Paris ein "Nouvel Ebel" heraus. Was aber Ebels Handbuch von Reichard's Passagier und auch von den späteren Reiseführern, zum Beispiel Karl Baedekers Werken unterscheidet, ist der Umstand, daß er auf eine ausführliche Darstellung von Reiserouten verzichtet und stattdessen alle erwähnenswerten Orte des Landes in alphabetischer Reihenfolge detailliert beschreibt.

Was aber bot nun der Reiseführermarkt in der Vorbaedekerzeit noch an Publikationen? Da waren etwa die Handbücher des preußischen Justizrats Johann Daniel Neigebaur. Der 1783 in Breslau geborene Sohn eines evangelischen Pfarrers begann ab den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts Reiseführer für Frankreich, Italien, England und schließlich auch für Deutschland herauszugeben. Die in einem ziemlich trockenen Stil verfassten Handbücher sind mehr in der Art eines Nachschlagewerks mit einer Fülle von nützlichen, oft auch überflüssigen Informationen aufgebaut, auch hier werden wie bei Ebel alle interessanten Städte oder Landschaften in streng alphabetischer Reihenfolge beschrieben. Besondere Verdienste freilich erwirbt sich Neigebaur, als er 1842 ein "Handbuch für Reisende in Griechenland" herausbringt, meiner bisherigen Erkenntnis nach der früheste Reiseführer über dieses junge Königreich, seit es nur wenige Jahre zuvor die Unabhängigkeit vom Türkischen Reich erkämpft hatte. Neigebaur schreibt in seinem Vorwort:

"Ein Handbuch für Reisende in Griechenland ist bereits notwendig geworden, seit durch die Dampfschiffahrt die Verbindung mit diesem jungen Staat so sehr erleichtert ist, daß eine Reise nach Athen jetzt leichter gemacht werden kann, als sonst nach Rom."

Wer aber nun meint, der Verfasser hätte diese bequeme Reisemöglichkeit ausgenutzt, um sich selbst im Land der Hellenen umzusehen, der irrt. Neigebaur verfasste sein Handbuch vom heimischen Schreibtisch aus, seine Informationen über Griechenland erhielt er von einem pensionierten württembergischen Offizier, der für ihn das Land bereiste. Welch Unterschied zu Karl Baedeker, der nur das in seinen Handbüchern festhielt, was er selbst, sozusagen mit eigenen Augen, gesehen und festgestellt hatte.

Karl Baedekers erster Reiseführer war die "Rheinreise"; auch hier hatte er einen vielgelesenen Vorgänger, gegen den er sich mit seinen Handbuch durchsetzen mußte. Es war dies das "Handbuch für Reisende am Rhein" des badischen Professors und Hofrats Aloys Schreiber aus Karlsruhe. 1812 erscheint das Werk zum ersten Mal, eine Reihe weiterer Auflagen kommen dann in den nächsten beiden Jahrzehnten heraus. Im Untertitel hat der Verfasser allerdings eine Anleihe bei Ebel genommen, er lautet nämlich: "Anleitung auf die nützlichste und genußvollste Art den Rhein zu bereisen". Das Werk ist in Form einer durchgehenden Beschreibung des gesamten Stromlaufes von Schaffhausen bis zur holländischen Grenze aufgebaut. Ausführlich geht Schreiber an den jeweiligen Orten auf die zahlreichen Sagen ein; von ihm schreiben in diesem Punkt später wieder eine ganze Reihe von Verfassern von Rheinführern ab. Ergänzt wird der Textteil durch zwei detaillierte Karten des gesamten Stromverlaufs, die schon deswegen von großem Interesse sind, weil sie den Zustand der Ufer vor den Regulierungen und Begradigungen des späteren 19. Jahrhunderts zeigen.

In den dreissiger Jahren des vergangenen Säkulums trat bekanntlich mit der Einführung der Dampfschiffahrt auf den großen Strömen und den Meeren sowie der Eröffnung der ersten Eisenbahnstrecken eine totale Umwälzung des Verkehrswesens ein, die auch nicht ihren Einfluß auf die Touristik verfehlte. Das wiederum aber rief eine Fülle von Reisebeschreibungen und vor allem von Reisehandbüchern auf den Markt.

Da ist etwa der kgl. preußische Postdirektor Jahn, der 1847 einen "Führer durch Deutschland" herausbringt, der auf nicht weniger als 750 Seiten zahlreiche Routen durch Deutschland und Österreich beschreibt und dabei auch noch entferntere Ziele wie Rom, Venedig, London oder Paris einbezieht. Auch eine Reihe von Stadtplänen und Karten sind dem Werk beigefügt. Einen besonderen Vorteil gegenüber der Konkurrenz aber verspricht sich der Verfasser, indem er sein Handbuch auch noch mit dem Titel "Illustriertes Reisebuch" schmückt und dies durch die Aufnahme von nicht weniger als 300 kleinformatigen Holzstichen dokumentiert. So wird aus dem Reiseführer fast eine Art Bilderbuch, dies geht sicher auf Kosten eines ausführlichen Textes, mag aber für ein bestimmtes Publikum nicht ohne Reiz gewesen sein.

Als Verfasser von Reiseführern tritt auch Karl Förster, der Schwiegersohn Jean Pauls, auf. Von ihm erscheint ebenfalls 1847 erstmals ein "Handbuch für Reisende in Deutschland". Förster wiederum verzichtet auf die Beschreibung von Reiserouten und bringt nach dem Vorbild Ebels und Neigebaurs eine Darstellung der wichtigsten Städte in alphabetischer Form. Der Reiz seines Reiseführers aber sind die im Anhang eingefügten 24 Eisenbahnkarten, auf denen alle seinerzeit in Betrieb befindlichen Strecken des neuartigen Verkehrsmittels dargestellt werden. Schon vorher hatte Förster ein "Handbuch für Reisende in Italien" herausgebracht, das es auf eine Vielzahl von Auflagen bringen sollte. Da die Apenninenhalbinsel ja seinerzeit in manchen Gegenden noch touristisches Neuland war, stellt der Verfasser seinem Handbuch ein längeres Kapitel mit zahlreichen, sicher auch nützlichen Ratschlägen für den richtigen Umgang mit Gastwirten, Lohnbediensteten oder Vetturini, den seinerzeit ja unverzichtbaren Lohnkutschern, voraus.

Auch August Lewald, Freund Heinrich Heines und Herausgeber mehrerer Zeitschriften, bringt 1842 einen Reiseführer für Deutschland heraus. Der Titel "Malerisches Reisehandbuch durch Deutschland und die angränzenden Gegenden" verrät, daß das Werk mit einer Fülle von Stahlstichen illustriert ist. Daß es dem Verfasser nicht nur um die nüchterne Information des Reisenden geht, verrät er selbst, indem er dem Handbuch das Prädikat "praktisch und unterhaltend" voranstellt. Der Inhalt des Werks schließlich ist in Form einer einzigen, vielfach verschlungenen Rundreise durch das gesamte Gebiet des Deutschen Bundes aufgebaut, wobei Lewald von Darmstadt ausgeht und am Ende seiner zweibändigen Reise auch wieder nach dorthin zurückkehrt.

Nun aber zu den beiden Konkurrenten Baedekers, die sich am nachhaltigsten in der Gunst der Leser halten und bis in dieses Jahrhundert, ja teilweise bis heute, am Markt behaupten können; es sind die Reiseführer aus den Verlagen von Theobald Grieben in Berlin und Meyers Bibliographischem Institut in Hildburghausen, später in Leipzig.

Grieben gliedert seine, auch in der Aufmachung sehr stark an Baedeker angelehnten Reiseführer, ähnlich dessen Vorbild, verwendet jedoch in sehr starkem Maße die Illustration als zusätzliches Informationselement. Seine Bände bezeichnet er deswegen schon im Titel als "Illustrierte Handbücher für Reisende". Seine 1858 bereits in der 7. Auflage erscheinende Ausgabe für Deutschland etwa weist nicht nur 25 Karten und Pläne der wichtigsten Städte und Landschaften auf, sie bringt auch nicht weniger als 150 Holzstiche, die in den Text eingefügt, dem Leser schon vor Antritt der Reise einen Vorgeschmack der zu erwartenden Eindrücke vermitteln und ihm dann nach der Heimkehr helfen sollen, die Erlebnisse in Erinnerung zu bewahren. Wie Baedeker und Meyer bringt Grieben auch Ausgaben in englischer und französischer Sprache heraus; die "Griebens Reisebibliothek" genannte Reihe umfaßt schon 1860 nicht weniger als 37 verschiedene Publikationen. Griebens Reiseführer sind in den folgenden Jahrzehnten von Verlag zu Verlag weiterveräußert worden; der Name scheint aber nach wie vor zugkräftig zu sein, denn noch heute gehören die kartonierten gelbblauen Bände zum gewohnten Erscheinungsbild auf dem Reiseführermarkt.

Der Verleger Josef Meyer und sein Bibliographisches Institut machen sich anfangs einen Namen mit dem berühmten "Conversationslexikon" und "Meyers Universum", einem vielbändigen Ansichtenwerk der Sehenswürdigkeiten aus aller Welt. Meyer selbst ist ein unternehmungslustiger Mann, ganz ein Kind seiner Zeit. Er plant ein "Centraldeutsches Eisenbahnnetz" und sucht in Thüringen, freilich vergebens, nach Kohle-, Eisen-, Silber- und Goldvorkommen. Erst nach seinem Tod bringt der Verlag 1862 ein "Neuestes Reisehandbuch für die Schweiz" heraus, das zum Grundstock einer umfangreichen Serie von Reiseführern werden sollte. Josef Meyers Erben gelingt es, als Herausgeber und Redakteur des Handbuchs Heinrich Alexander Berlepsch zu gewinnen, der zu dieser Zeit schon einen guten Namen als Reiseschriftsteller besitzt. Berlepsch ist für den Verlag ein großer Gewinn, er pflegt eine amüsante, niemals trockene Sprache und versteht es, bei den einzelnen Orten und Gegenden kurzweilig literarische und historische Bezüge herzustellen. Der Schweizer Führer bringt nicht nur eine größere Anzahl von Karten und Plänen, er umfaßt auch zahlreiche, zum Teil ganzseitige Illustrationen und viele herausklappbare Panoramen.

Vom Erfolg ermutigt, beschließt man kurz darauf, ein Reisehandbuch für Deutschland in vier Bänden herauszubringen, für dessen Redaktion wiederum Berlepsch gewonnen werden kann. Auch diese Reihe soll stark bebildert werden. Man verpflichtet hierfür einen begabten Künstler, der zum Teil vor Ort die Zeichnungen für die Holzstiche anfertigt, zum Teil aber auch nach Fotographien arbeitet. Für einige Jahre ist der Stahl- oder Holzstich immer noch die geeignetste Reproduktionsvorlage, da man noch keine Möglichkeit zur Vervielfältigung von Fotos besitzt. Unter dem Namen "Meyers Reisebücher" wird die Reihe in den folgenden Jahren erheblich ausgeweitet. Wenn sich auch Berlepsch später aus der Zusammenarbeit zurückzieht, so versteht es der Verlag doch immer wieder, namhafte Publizisten als Verfasser zu gewinnen, so in den 80er Jahren Dr. Th. Gsell-Fels für die Italienbände. Alle frühen "Meyer" zeichnen sich durch ihre intensive Illustration aus; besonders hübsch ist die Sitte, in die Landkarten winzige, oft nur briefmarkengroße Stahlstiche mit Ansichten bekannter Bauwerke oder Landschaften einzufügen. Um die Jahrhundertwende schließlich gibt es "Meyers Reisebücher" für alle touristischen Ziele auf der weiten Welt; in einzelnen Gegenden, wie etwa dem Vorderen Orient besitzt Meyer anfangs sogar einen Vorsprung vor Baedeker.

Zum Schluß möchte ich anhand zweier gleichzeitig erschienener Ausgaben einen direkten Vergleich zwischen Baedeker und Meyer, als seinem wohl bedeutendsten Konkurrenten, herstellen. Verwendet werden dabei Baedekers "Die Schweiz" in der 10., verbesserten und vermehrten Auflage von 1864, und Meyers, sprich Berlepschs "Neuestes Handbuch für die Schweiz" in der 3., neuen und vermehrten Auflage, ebenfalls von 1864.

Zuerst die äußere Aufmachung: Beide Bücher sind kartoniert gebunden mit leinenbezogenem Umschlag, die Farbe ist bei beiden das vertraute Weinrot, die Schrift gold eingeprägt. Das Format ist mit 12 zu 17,5 cm bei Meyer etwas größer als bei Baedeker, der es auf 10,5 zu 16 cm bringt. Das größere Format, von dem später abgegangen wird, erlaubt bei Meyer einen zweispaltigen Druck und damit bei etwas kleinerer Schrift etwas mehr an Text.

Nun zu der inneren Aufmachung: Baedeker stellt dem Titel als farbiges Frontispiz eine Abbildung aller Wappen der 22 Schweizer Kantone gegenüber, die um einen speertragenden Standesläufer angeordnet sind. Der Band besitzt 15 Karten, 7 Stadtpläne und 6 Panoramen, also 28 Beilagen.

Meyer klotzt hier schon wesentlich mehr; er bringt es auf 16 Karten, 6 Städtepläne, 9 Gebirgspanoramen und 24 Illustrationen, alles in allem .55 Beilagen. Baedeker kommt auf 512 Seiten Umfang, denen bei Meyer lediglich 401 Seiten gegenüberstehen, die allerdings überwiegend zweispaltig gedruckt sind. Die reine Textmenge dürfte bei beiden damit wohl gleich umfangreich anzusetzen sein. Beide Führer bringen reichhaltige Vorbemerkungen über Land und Leute, Verkehrsmittel, Währungsverhältnisse, Geschichte und Brauchtum sowie ein ausführliches Register.

Wenn man von dem Plus an Illustrationen bei Meyer absieht, so sind beide Reiseführer, was Aufmachung und Umfang angeht, weitgehend gleichwertig. Bleibt als nächstes Kriterium der Preis: Bei Baedeker sind auf dem hellgelben Vorsatzpapier die Preise aller zu dieser Zeit erschienenen Bände aufgeführt; für die Schweiz waren 1 Thaler und 22 Silbergroschen zu bezahlen. Bei Meyer kostete der Schweiz-Band 2 Thaler, also 8 Silbergroschen mehr. Grund hierfür mögen wohl die zahlreichen Illustrationen gewesen sein. Bei einer vorsichtigen Umrechnung auf heutige Währungsverhältnisse kann der Preis des Baedekers etwa mit 50 DM, der des Meyer etwa mit 60 DM veranschlagt werden, dies freilich mit allem Vorbehalt.

Um nun festzustellen, warum letztlich dann Baedeker im Konkurrenzkampf die Nase immer etwas vorne hatte, ist es wohl unerläßlich, einzelne Informationen bei beiden etwas näher miteinander zu vergleichen. Nehmen wir das Dorf Lauterbrunnen im Berner Oberland, das sich schon damals als Ausgangspunkt für Wanderungen in das Jungfraugebiet zunehmender Beliebtheit erfreute. Beide Führer erwähnen hier zwei Gasthöfe, den "Steinbock" und den "Staubbach". Während aber Meyer keine Preise aufführt, schreibt Baedeker beim "Steinbock" detailliert, daß für das Zimmer 2 fr., für das Frühstück 1 1/2 fr., für das Abendessen 3 fr. und für die Bedienung 3/4 fr. zu bezahlen seien.

Was den zweiten Gasthof zum "Staubbach" betrifft, so vermerkt hier Meyer lediglich: "einfach", während Baedeker ihm das Prädikat "bescheiden, aber gut und nicht teuer" zukommen läßt. Man glaubt, der Verfasser sei dort gewesen und hätte übernachtet; ich meine, so wird es wohl auch gewesen sein. Ein anderes Beispiel: Chamouny am Fuße des Montblanc. Meyer führt das "Hotel Royal" als erstes Haus an und vermerkt: "etwas hohe Preise, aber vorzüglich comfortable Einrichtung". Wer wissen will, was "etwas hohe Preise" bedeutet, sieht bei Baedeker nach: Zimmer 2 fr., Frühstück 2 fr. und für das Licht 1/2 fr.. In der Regel hat Baedeker die umfassenderen, präziseren Angaben, Meyer dagegen, d.h. Berlepsch, bietet dafür vielleicht ein bißchen mehr an Hintergrund.

Es war wohl diese Zuverlässigkeit und Genauigkeit, die umfassende Information, die Baedeker einen Vorsprung in der Gunst der Reisenden verschuf.

Zu einem Freund meinte Karl Baedeker einmal: "Europa ist für mich ein wundervoller Garten mit vielen herrlichen Blumen. Ich gebe mir Mühe, ein guter Gärtner zu sein." Ich glaube, dem ist auch heute nichts hinzuzufügen.

Heinrich Krohn: Karl Baedeker und seine Konkurrenten
In "Reisen und leben" Heft 16, S. 4-11.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1988)
ISBN 3-922293-16-6


4. BAEDEKER-SymposiumTable of contentsWarschau im Spiegel von Reiseführern

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