Reisen und leben, Heft 17 / 1988

Heinrich Krohn:

Zehn Francs täglich oder Reisekosten im Biedermeier

Was neben anderem die Beschäftigung mit alter Reiseliteratur so liebenswert macht, das sind nicht zuletzt die kleinen Entdeckungen und Funde, die man mitunter dabei machen kann. Es ist schon einige Jahre her, da konnte ich bei Hartung und Karl in München einen relativ seltenen Reiseführer ersteigern:

Handbuch für Reisende in Frankreich
von Dr. Neigebaur
Wien 1832

Der Verfasser war mir kein Unbekannter, besaß ich doch von ihm bereits ein Reisehandbuch für Deutschland und – eine ausgesprochene Rarität - ein ebensolches über Griechenland. Neigebaur schrieb seine Handbücher in einer trockenen Sprache, er schöpfte dabei weniger aus dem eigenen Erleben sondern verarbeitete mehr die ihm zugängliche Literatur über Land und Leute.

Sehr reizvoll war bei dem vorliegenden Exemplar die Form der Bindung. Der Erwerber hatte sich seinerzeit das Handbuch gebrauchsgerecht in Form eines Portefeuillebandes vom Buchbinder herrichten lassen. Der hintere Buchdeckel ist in diesem Fall etwa 10 cm breiter als der Buchblock und kann um die offene Seite herumgeschlagen und mittels einer Lasche auf dem vorderen Deckel befestigt werden: das Buch ruht so geschützt wie in einer Art Ledertasche.

An der Innenseite des vorderen Deckels hatte der Buchbinder eine Hülle für die Aufnahme der Reisekarte eingesetzt, sie schien leer zu sein. Erst als ich einige Zeit später den Reiseführer wieder einmal zur Hand nahm und die Finger dabei gleichsam wie forschend in die Tiefe dieser Hülle eindrangen, kamen einige eng gefaltete Blätter ans Tageslicht. Was da vielleicht eineinhalb Jahrhunderte im Dunkel des Umschlags geruht hatte, erwies sich als ein höchst interessanter Fund.

Auf mehreren eng beschriebenen Blättern, hatte der seinerzeitige Eigentümer des Reiseführers nicht nur eine kritische Würdigung seiner achtmonatigen Reise durch Frankreich vorgenommen, sondern auch die Kosten der Reise ermittelt. Aus seinen Ausführungen geht hervor, daß er um 1835 mit einem Bedienten während acht Monaten auf der Strecke Straßburg, Lyon, Marseille, Toulouse, Pyrenäen unterwegs gewesen war und auf der Rückfahrt auch noch Paris besucht hatte.

Unser Reisender ermittelt zuerst einmal die zurückgelegte Strecke und kommt dabei auf 398 Posten. Die französische Post entsprach etwa einer deutschen Meile, also etwas über 7 Kilometern. Gereist war unser Passagier mit der Mallepost, die in Frankreich unserer Schnell- oder Eilpost entsprochen hatte. Seine Ausgaben hierfür betrugen 1 1/2 Francs je Post, also insgesamt 642 Francs. Weitere 400 Francs werden dann noch für zusätzliche Transportmittel veranschlagt.

Als täglicher Bedarf für Unterkunft und Verpflegung werden dann 10 Francs angesetzt und dabei bemerkt: "10 Francs täglich werden zwar in Paris und in theuren Städten nicht reichen! Dagegen dürften die Reisetage und die Provinzstädte diesen Aufwand nicht erfordern."

Für seinen Bedienten setzt der Verfasser dann noch einmal die gleichen Fahrtkosten, jedoch nur die Hälfte der Unterkunfts- und Verpflegungskosten an. Dann zeigt sich, daß es sich bei unserem Reisenden offensichtlich um einen äußerst vorsichtigen Zeitgenossen handelte; er kalkuliert nämlich noch eine Reserve von 100 Napoleon d'Or ein, das sind weitere 2000 Franken. Unterm Strich ergibt sich schließlich ein Betrag von 6684 Francs oder 3342 Gulden für eine Frankreichreise von 8 Monaten. doch wird auch diese Summe vom Verfasser noch einmal relativiert, indem er ihr den Aufwand gegenüberstellt, den er während dieser Zeit auch zu Hause gehabt hätte. Er schreibt:

"Betrachtung: Kostet die Reise in acht Monaten 3342 Gulden, so kann zu Hause 2-3 Gulden täglich für mich auf gleiche Zeit in Abzug kommen, mindestens 480 Gulden. Der Mehraufwand an Geld samt der Reserve, wäre also zu bestimmen durch die Summe von 2862 Gulden."

Die ausführlichen Notizen sind in Form eines Kostenvoranschlags erstellt, jedoch offensichtlich erst nach Rückkehr von der Fahrt, sozusagen als Anhalt und Hilfe für andere Reisende. Was sagen uns nun die ermittelten Kosten? Liegen sie im Rahmen des seinerzeit üblichen? Neigebaur macht in seinem Handbuch zu diesem Punkt keine Bemerkungen, aber guter Rat findet sich wieder einmal mehr bei Reichard. In seinem "Passagier auf der Reise", dem damals gebräuchlichsten Reiseführer, ermittelt er bei vergleichbarem Aufwand Reisekosten von rund 2000 Talern für das Jahr. Nachdem unser Reisender acht Monate, also 2/3 eines Jahres unterwegs war, hätten ihm laut Reichard für seine Reise etwa 1400 Taler reichen müssen; freilich gesteht auch Reichard, daß sein Voranschlag für eine Stadt wie Paris nicht genüge. 1400 Taler, das hätte nun etwa 2200 Gulden entsprochen. Tatsächlich ist jedoch 'der Verfasser auf eine Summe von 3342 Gulden gekommen, sein Voranschlag liegt also um die Hälfte höher als Reichard. Das ist aber genau die Summe, die unser Reisender als Reserve (100 Napoleon d'Or entsprechen 1000 Gulden) eingerechnet hatte. Setzt man sie nun noch ab, dann verbleiben noch 2342 Gulden, die Obereinstimmung mit Reichards 2200 Gulden ist verblüffend.

Faltet man die vergilbten Blätter wieder zusammen und schiebt sie in die Umschlaghülle zurück, öffnet sich der Phantasie ein weites Feld. Wer war es, der hier mit seinem Reiseführer in der Hand eifrig seine Notizen kritzelnd, Frankreich durchreiste? Wir wissen es nicht und werden es wohl auch nie erfahren. Vielleicht ist aber auch gerade mit dieser Ungewißheit des Vorbesitzers, die ja den Gedanken freien Raum läßt, ein gutes Stück der Freude des Sammelns begründet.

Heinrich Krohn: Zehn Francs täglich oder Reisekosten im Biedermeier
In "Reisen und leben" Heft 17, S. 26-28.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1988)
ISBN 3-922293-17-4


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