Reisen und leben, Heft 18 / 1989

Alex W. Hinrichsen:

Panoramen des 19./20. Jahrhunderts - eine Einführung

Im Lexikon zur Geschichte der Kartographie steht unter dem Stichwort 'Panorama (Rundbild)' folgende Definition:

"Kartenverwandte kartogr. Ausdrucksform. Zentralperspektiv. Abbildung der Landschaft auf vertikale oder schräge Ebene. Uneingeschränkte Weit- und Rundsicht, deren Darstellung keinen Rahmen verträgt."

Zur Vogelschaudarstellung ist aus dem gleichen Lexikon zu erfahren:
"Darstellung in Schrägsicht aus größerer Höhe auf schräge Bildebene . . .Das Vogelschaubild ist eine zeichner.-maler. Darstellung eines Landschaftsausschnittes..."

Die alten Reiseführer hatten ganz zögerlich Karten und Stadtpläne aufgenommen, nachdem große Landkarten als Beilage zu den Postroutenbüchern und einigen Reiseführern, wie die von H.A.O. Reichard, beigelegt worden waren. Die großen Landkarten, z.B. diejenigen aus dem Industrie Comptoir Weimar, gab es natürlich auch einzeln bzw. in Atlanten. Karl Baedekers erster Reiseführer von Deutschland und Österreich enthielt neben einigen, wenigen Stadtplänen eine Übersichtskarte aus dem Hause Justus Perthes. Die Beigabe von Ansichten war wesentlich gängiger, und viele Texte wurden zur Ergänzung von Stahlstichreihen geschrieben. Um 1830 wurde dann das Panorama als touristisches Hilfsmittel "entdeckt". Ein Lieferant von Panoramen war F.W. Delkeskamp aus Bielefeld, der Das malerische Relief des klassischen Bodens der Schweiz anfertigte (1830-35); 1837 wurde sein erstes Rheinpanorama fertiggestellt, 1839 das der Mosel von Koblenz bis Wasserbillig. Ab 1845 versuchte er ein größeres Panorama der Schweiz und der angrenzenden Alpenregionen herauszubringen. Die Arbeit gelang nur zum Teil in jahrzehntelanger, mühseliger Arbeit.

Andere Flußläufe, wie die des Mains oder Neckars, wurden auch mit Panoramen dargestellt, ebenso einzelne Eisenbahnstrecken, wie z.B. die Thüringer Eisenbahn.

Das Reiseland Schweiz wurde nicht nur vielfach beschrieben, sondern auch abgebildet. Das Panorama fand in Reiseführern schon frühzeitig Einzug, z.B. in der achten Auflage der "Anleitung, auf die nützlichste und genussvollste Art, die Schweiz zu bereisen" von Ebel/Escher aus dem Jahre 1843. Dieser Band enthält Panoramen vom Rigi und vom Faulhorn, die noch relativ einfach gezeichnete Darstellungen der von diesen Punkten zu sehenden Gebirgsketten sind. Sie sind auch nicht mit den Delkeskamp'schen Darstellungen zu vergleichen, die z.B. die Schweiz aus der Vogelperspektive zeigen. Bei Baedeker gibt es das erste Panorama vom Faulhorn in der 3. Auflage des Reisehandbuches über die Schweiz von 1851. Die einfache zeichnerische Darstellung wird zur kolorierten Ansicht bzw. Aussicht. Auch in der ersten Auflage des Grieben-Reiseführers über die Schweiz von 1856 ist ein Panorama, und zwar als Aussicht vom Rigi-Kulm, enthalten. Wie rasant die Entwicklung dieser Art Darstellung war, zeigt der Schweizer Führer von Berlepsch aus dem Bibliographischen Institut von 1871 (6. Auflage), der 31 Panoramen enthält. Neben vielen kleinen Zeichnungen sind 10 große vertikale, zentralperspektivische Panoramen enthalten: Piz Ot, Rigi-Kulm, Pilatus, Furka, Faulhorn, Aeggischhorn, Gornergrat, Bella-Tola, Montblanc-Kette und Mont Saleve. Baedeker beschränkte sich in der großformatigen Anwendung auf wenige Panoramen; in späteren Bänden über die Schweiz, Tirol und Südbayern finden sich als Skizzen mehr davon, zum Teil im Text verteilt.

Die Panoramadarstellungen wurden in diesem Jahrhundert auch ein beliebtes Mittel der Darstellung in Prospekten. Die Drucktechnik erlaubte eine farbige Darstellung, die ihren Eindruck beim Betrachter nicht verfehlten, wie z.B. auf einem Prospekt der Pilatus-Bahn bei Luzern oder auf einem anderen Prospekt der Stadt Salzburg von 1939. Das Titelbild zeigt die vogelperspektivische Einsicht in das Stadtinnere um den Dom und links davon, sich mächtig erhebend, die Burganlage. Der Betrachter wähnt sich aber noch von einem höheren Standpunkt aus auf die Stadt herniederschauend. Der Entwerfer dieser Ansicht und des ganzen Prospektes war ein Herr Berann aus Innsbruck. Er hatte seit 1930 die ersten modernen Panoramen gezeichnet, u.a. die Großglockner - Hochalpenstraße im Jahre 1936.

Heute gibt es lediglich sechs international anerkannte Panoramazeichner, von denen einige schon zwischen 70-75 Jahre alt sind. Neben Berann sind es noch die Herren Oberbacher, Stummvoll, Oberschneider, Vielkind und Kettler. Kettler arbeitet u.a. für Hallwag, die anderen u.a. für Mairs Geographischen Verlag. In diesem Verlag sind Panoramen von Österreich, den Alpen im Winter und im Sommer, Deutschland und als neuestes Produkt ein Europa - Panorama veröffentlicht worden.

Die Arbeitsweise ist unterschiedlich: Während Prof. Berann von der Darstellung des Himmels ausgehend die Farbe und das Relief der Landmassen aufbaut, gehen andere Zeichner umgekehrt vor. Als Arbeitsunterlagen werden topographische Karten mit Höhenschichtlinien und sehr guter Geländeschummerung, Satellitenfotos, Luftbildaufnahmen, Aufnahmen von markanten Bauwerken, Stadtpläne mit herausragenden Bauwerken und andere Karten verwendet. F.W. Delkeskamp hatte dieses alles bei seinem Schweiz-Panorama nicht zur Verfügung. Für das zweite Schweiz-Panorama brauchte er zwölf Jahre mit vielen, vielen Fußmärschen und einfachsten Hilfsmitteln wie Bleistift und Zeichenblock. Eine Herstellungzeit eines heutigen Panoramas wird mit rund zwei Jahren angesetzt.

Während F.W. Delkeskamp seine Zeichnungen in Stahlplatten als Stiche umsetzen ließ, wird heute vom original ein Farbdia in Spezialstudios (besonders für die großen Darstellungen notwendig) angefertigt. Das Stahlstichpanorama war einfarbig, heute druckt Mairs Geographischer Verlag die Panoramen in den vier Grundfarben mit einer zusätzlichen Farbe für die Beschriftung.

Das Delkeskamp'sche Rheinpanorama von 1851 kostete damals 2 Thaler (Vergleich: Der oben erwähnte Baedeker-Reiseführer von Deutschland und Österreich aus dem Jahre 1842 kostete die gleiche Summe, später sogar 3 Thaler); ein Deutschland- oder Europa - Panorama von Berann kostet DM 19,80. Die alten Stahlstichpanoramen sind antiquarisch nur noch für einige Hundert Mark zu haben, wenn sie den Rhein darstellen. Die Schweiz- oder Moselpanoramen kosten ein Vielfaches davon.

Wozu sind moderne Panoramen zu verwenden? Sicherlich auch immer noch als touristische Erinnerungs- und Informationsmittel. Sie geben in der perspektivischen Darstellung eine vergleichende Darstellung, wie wir sie aus aktuellen Atlanten und den Bildern, die über Satelliten zu uns kommen, kennen. Sie entsprechen unserem Weltbild, das wir als Touristen und informierte Menschen kennen. Zusätzlich sind sie aber auch kompaktes bildliches Anschauungsmaterial zur übersichtlichen Information. Täglich sind die Zeitungen angefüllt mit Meldungen zum gemeinsamen Europa ab 1992/93, das Panorama macht uns erst richtig bewußt, wie klein die Entfernungen mit unseren Kommunikationsmitteln sind. Die Zeit vor 150 Jahren war erst durch den industriellen Anfang der einzusetzenden schnelleren Verkehrsmittel, wie Dampfschiff oder Dampfeisenbahn, geprägt; da waren Panoramen von den Alpen eine Sensation, heute bewundern wir die Fleißarbeit, die mit einfachsten Mitteln bewältigt wurde. Aber sie sind auch historisch ein nutzbares Dokument der damaligen Welt. Straßenkarten vermitteln keinen optischen Eindruck, aber das Deutschland-Panorama!

Genutzte Quellen: Kretschmer/Döflinger/Wawrik: Lexikon zur Geschichte der Kartographie, Wien 1986; Pfänder, H.. Panoramakarten - eine besondere Art der Kartographie, sowie die im Text genannten Originalunterlagen.

Alex W. Hinrichsen: Panoramen des 19./20. Jahrhunderts - eine Einführung
In "Reisen und leben" Heft 18, S. 24-28.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1989)
ISSN 0936-627X


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