Reisen und leben, Heft 20 / 1990

Hans Krumbholz:

Der Harz und der Thüringer Wald in klassischen Reisebeschreibungen und historischen Reiseführern

Der Harz erlebte seine literarische Premiere durch Goethe. Im August 1778 schrieb der Dichter in einem Brief an Merck: "Letzten Winter hat mir eine Reise auf den Harz das reinste Vergnügen gegeben... Ich machte mich allein auf, etwa den letzten November, zu Pferde, mit einem Mantelsack und ritt durch Schloßen, Frost und Kot auf Nordhausen den Harz hinein in die Baumannshöhle, über Wernigerode, Goslar auf den hohen Harz, das Detail erzähl ich Dir mal, und überwand alle Schwierigkeiten und stand den 8. Dez., glaub ich, Mittags um eins auf dem Brocken oben in der heitersten, brennendsten Sonne, über dem anderthalb Ellen hohen Schnee und sah die Gegend von Teutschland unter mir alles von Wolken bedeckt, daß der Förster, den ich mit Mühe persuadirt hatte, mich zu führen, selbst vor Verwunderung außer sich kam, sich da zu sehen, da er viele Jahre am Fuße wohnend das immer unmöglich geglaubt hatte..."

Später findet man des Dichters Eindrücke seiner Harzwanderung im 'Faust' wieder:

"Seh die Bäume hinter Bäumen
Wie sie schnell vorüber rücken,
Und die Klippen, die sich bücken,
Und die langen Felsennasen,
Wie sie schnarchen, wie sie blasen!

Und die Wurzeln, wie die Schlangen,
Winden sich aus Fels und Sande,
Strecken wunderliche Bande...
Uns zu schrecken, uns zu fangen..."

Kurze Zeit später baut man auf dem Brocken für die nun immer häufiger aufsteigenden Touristen das erste Brockenhaus.

J.A. Goeze publiziert 1785 im Leipziger Verlag Weidemanns Erben und Reich eine ausführliche Beschreibung von verschiedenen Gebieten des Harzes unter dem Titel "Die Harzgegend oder eine kleine Reise von drei Tagen, zum Unterricht und Vergnügen der Jugend". Besonders widmet er sich dem Bodetal und vermerkt:

"Denkt: so alt als der Altvater der Berge; der Brocken. Da oben entspringt er, mit der Ilse, Oker und anderen kleinen Harzbächen. Das merkwürdigste ist, daß die Bode von da an, wo sie unter dem Brocken, nachdem sie allerlei kleine Quell- und Bergwasser zu sich genommen, anfängt ein Fluß zu werden, und durch die Klippen geht, in ihrem Bette, oder in dem Kanale, in welchem sie durchfließt so viele, und so ungeheure große Steine und Felsstücke hat, über welche sie wegfließt, daß man sie nicht zählen kann. Öfters Steine von einigen tausend Zentnern, und zwar alle von dem härtesten Granit. Da könnt ihr euch das Brausen und Schäumen, das Stoßen und Schlagen des Wassers vorstellen, daß man öfters sein eigen Wort nicht hören kann. Zumal, wenn im Frühjahr die Eisfahrt geht, und der Fluß angelaufen ist."

Heinrich Heine unternahm im Jahre 182 seine Harzreise. An seinen Freund Moses Moser schreibt er:

"Ich habe zu Fuß den ganzen Harz durchwandert, über schöne Berge, durch schöne Wälder und Täler bin ich gekommen und habe wieder mal frei geatmet. Über Eisleben, Halle, Jena, Weimar, Erfurt, Gotha, Eisenach und Kassel bin ich wieder zurückgereist, ebenfalls immer zu Fuß. Ich habe viel Herrliches und Liebes erlebt, und wenn nicht Jurisprudenz gespenstisch mit mir gewandert wäre, so hätte ich wohl die Welt sehr schön gefunden."

Über seine Eindrücke vom Harz schreibt er später in der 'Harzreise':

"Nach dem Stande der Sonne war es Mittag, als ich auf eine solche Herde stieß, und der Wirt, ein freundlich blonder junger Mensch, sagte mir: der große Berg, an dessen Fuß ich stände, sei der alte, weltberühmte Brocken... Der Berg ist hier mit vielen großen Granitbrocken übersäet, und die meisten Bäume mußten mit ihren Wurzeln diese Steine umranken oder sprengen, und mühsam den Boden suchen, woraus sie Nahrung schöpfen können ...es ist ein äußerst erschöpfender Weg, und ich war froh, als ich endlich das langersehnte Brockenhaus zu Gesicht bekam."

Carl Julius Weber beschreibt seine Erlebnisse auf dem Brocken in "Deutschland oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen" (2., vermehrte und verbesserte, Auflage 1834) u.a. wie folgt:

"Von Ilsenburg sind noch vier gute Stunden, auf den Brocken, dem letzten Ziel der Harzreisenden; daher man wohl tut, sich daselbst in der 'Roten Forelle' zu stärken. Der Weg von Wernigerode ist bequemer, aber nicht so interessant, als der unsrige, trotz der Sümpfe, deren Wasser unsere besten Stiefel durchfraß. Wir kletterten wie Ziegen über alle Granitblöcke hinweg, und brauchten dennoch vier volle Stunden. Man begreift, warum die Harzer, wenn sie einem Böses wünschen, sagen: "Geh nach dem Brocken"; sie übergeben einen - nicht dem Teufel - sondern nur den Teufels Wegen!... Man tut wohl beisammen zu bleiben; die vom Winde gepeitschten Wolken umhüllen oft plötzlich den Wanderer, wie Aeneas, und die Stimme des Rufers verliert sich in den wasserdichten Dünsten, die etwas fatales sind, wenn sie auch nicht tropfen. ... Und auf der Höhe drückt die Luft die Brust dermaßen, daß der gemeine Harzer von Unheimlichkeit träumet, und von der Nähe des Teufels und seiner Hexen, selbst die Schmetterlinge mochten nicht mit uns

"Der Graf von Stollberg-Wernigerode verdient den Dank jedes Reisenden, daß er auf dem Brocken im Jahr 1800 ein Haus erbauen ließ, Friedrichhöhe genannt, mit einer Warte, Telescop und Büchern über den Harz versehen. Zu meiner Zeit stand nur auf der sogenannten Heinrichshöhe ein enges, oft mit Wanderern überfülltes und nur im Sommer bewohntes Brockenhäuschen, jetzt aber ein weit festeres und schöneres auf dem Gipfel von 150' Länge und 30' Breite mit einem Saale und zehn Zimmern, das bisher alle Stürme bestanden hat; in der Mitte erhebt sich ein Turm mit einem Blitzableiter. Der Wirt wohnt Sommer und Winter hier, zwei Maultiere bringen von Wernigerode die Bedürfnisse, die Bewirtung geht nach einer Taxe, ist unendlich billiger als in der Schweiz, und die Harzforellen, Harz-Hammelbraten, und vielerlei Harzbeeren sind nicht zu verachten; der Wirt darf im Jahr immer auf 1000 Gäste rechnen."

Karl Baedeker, sonst geizig mit ausführlichen Beschreibungen, widmet in seinem Reisehandbuch 1842 "In Deutschland und dem Österreichischem Kaiserstaate" dem Harz allein 15 Druckseiten. "Der Harz", schreibt er, "der nördlichste Gebirgszug Deutschlands, ist ungefähr 12 M. lang und 4 M. breit; der größte Theil desselben gehört Hannover, das übrige Gebiet Preussen, Braunschweig und Anhalt-Bernburg. Er wird in den Ober- und Unterharz eingetheilt, der erstere die dem Brocken westlich, der andere die östlich gelegene Hälfte. Der Oberharz hat tiefer eingeschnittene Thäler, steile finstere Schluchten und meist Tannen- und Fichtenwaldung. Der Unterharz bietet eine größere Anzahl lieblicher Landschaften und ist bei weitem der besuchenswerthere. Die Gebirgsart besteht aus Granit, die jüngeren Gebilde sind Grauwacke und Thonschiefer. Der Unterharz, wenigstens die Vorberge, werden gewöhnlich schon zu Pfingsten besucht und erscheinen dann, besonders wegen des frischen Waldgrüns und der wasserreichen Bäche, sehr malerisch."

"Wahren Genuß", so fügt Baedeker hinzu, "hat von der Reise nur der Fußgänger." Ausführlich beschreibt er dann Goslar, Clausthal, Osterode, Brocken, Ilsenburg, Wernigerode, Blankenburg, Reland, Bodetal, Rotrappe, Hexentanzplatz, Ballenstedt und Quedlinburg. Im Jahre 1851 teilt Baedeker seinen Reiseband in S- und Westdeutschland und in Mittel- und Norddeutschland; 1889 erscheint Nordwestdeutschland - der Anteil der Informationen über den Harz wird ständig ausführlicher. Ab 1920 wird der Harz ein eigenständiges Baedeker-Reisehandbuch.

1850 gründet Carl Grieben in Berlin einen Verlag, den er später an Albert Goldschmidt verkauft. Grieben gründete übrigens 8 Verlage, die er stets, wenn sie gut liefen, weiter veräußerte. In den von 1850 bis 1863 erschienenen Reiseführern - die 62 Bände wurden größtenteils von Grieben selbst erarbeitet - konzentriert er sich besonders auf kleine, vorerst auch noch weniger bekannte Reisegebiete und auf die östlichen Landesteile von Deutschland; er gibt vor allem eine Menge nützlicher Hinweise zum Reiseweg, zur Übernachtung, zu den Entfernungen und über medizinische Betreuung. In schneller Reihenfolge kommen Band 2: Harz, Band 3: Thüringen, Band 4: Dresden und die Sächsische Schweiz, Band 5: Dresden und Band 6: Berlin, heraus. Griebens Reisebibliothek wurde ab 1863 vom Verlag Goldschmidt weitergeführt. Die einzige Bedingung war, daß der neue Verleger, wie auch beim Verkauf der anderen Verlage, seine Werke weiterhin unter dem Namen Grieben herausbringen mußte.

Im Bibliographischen Institut in Hildburghausen war 1864 erstmals der "Wegweiser durch den Harz" von Heinrich Pröhle erschienen.

So gilt dieses Mittelgebirge schon sehr früh als touristisch und literaturtouristisch gut erschlossen, wie kaum andere Gebiete im Land. Grieben konstatiert schließlich 1928 in seinem Reiseführer Band 1 "Wohin soll ich reisen?":

"Die Beliebtheit des Harzes als sommerliches und winterliches Reiseziel ist durch die Schönheiten des Gebirges mehr als gerechtfertigt, zumal sich mit einer Harzreise der Besuch der architektonisch, künstlerisch und historisch interessanten Randstädte verbinden läßt."

Erstmals wirft er auch den Gedanken der Umweltbelastung durch den Tourismus in einem Reiseführer auf:

"Der starke Verkehr macht sich im Harz insofern unangenehm bemerkbar, als die geringe Ausdehnung des Gebirges ihn doppelt stark empfinden läßt. Es empfiehlt sich daher", so Grieben, "rechtzeitig vor Antritt einer Harzreise die Quartierfrage zu klären, da besonders im Oberharz die Sommerfrischen und Wintersportplätze des Gebirges vielfach überfüllt sind."

Und das muß ja nicht weiter kommentiert werden.

Kein anderer als der Weimarer Dichterfürst Johann Wolfgang von Goethe entdeckte auch die Schönheiten des Thüringer Waldes als einer der ersten für die Literatur und förderte die Erschließung dieses Mittelgebirges für Reise und Erholung.

Goethe zogen die immergrünen Täler und sanften Höhen im Ilmtal, bei Ilmenau und Manebach stets magisch an; über fünfzig Mal soll er in seinem Leben dorthin gewandert, geritten und kutschiert sein. Schon 1776 reiste er mehrere Male nach Ilmenau. Er malte die Landschaft, wie er sie vom Hange des Kickelhahns bei Ilmenau sah, den Stützerbacher Grund, das Ilmenau, die Höhle am Hermannstein.

"Hoch auf einem weit rings sehenden Berge im Regen sitz ich hinter einem Schirm von Tannenreisen ...Die Täler dampfen alle an den Fichtenwänden herauf," so schrieb er auf eine Zeichnung, die er als Gruß an Charlotte von Stein schickte. Im September 1783 wohnte er eine Woche in dem Jagdhäuschen auf dem 861 m hohen Kickelhahn und schrieb eines Abends mit Bleistift ans Fenster:

Über allen Gipfeln
ist Ruh';
In allen Wipfeln
Spürest du
Kaum einen Hauch;
Die Vögelein schweigen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch.

Nirgendwo in der deutschen Literatur wurde die Abendstimmung einer Landschaft so gefühlsbetont auf die Vollendung eines Menschen Leben übertragen. Am Tage vor seinem 82. Geburtstag, im August 1831, fuhr Goethe ein letztes Mal nach Ilmenau. Dort wünschte er noch einmal das Zimmer auf dem Kickelhahn zu sehen und jenen Vers.

"Goethe überlas die wenigen Verse," schrieb Bergwerksinspektor Mahr, der ihn begleitete, "und Tränen flossen über seine Wangen. Ganz langsam zog er ein schneeweißes Taschentuch aus seinem dunkelblauen Tuchrock, trocknete sich die Tränen und sprach in sanftem, wehmütigem Tone: ja warte nur, bald ruhest du auch! Schwieg eine halbe Minute, sah nochmals durch das Fenster in den düsteren Fichtenwald und wendete sich darauf zu mir mit den Worten: Nun wollen wir wieder gehen!"

Goethes Beziehungen zu Ilmenau und dem Kickelhahn führten noch im 18. Jahrhundert dazu, daß in diesem Tal des Thüringer Waldes mehr Hotels und Gastwirtschaften entstanden als anderswo. Damen und Herren des Weimarer Hofes, des Bürgertums und Literaten ließen sich nach Ilmenau bringen und bestiegen den Kickelhahn. Bald kamen auch Gäste aus Frankfurt und Leipzig. Entdeckerfreude trieb den Gothaer Geographen und Geologen Karl von Hoff und seinen Freund Christian Jacobs in den Thüringer Wald. Fünfzehn Jahre lang sammelten sie Material, das sie zwischen 1807 und 1812 in der Ettingerschen Buchhandlung zu Gotha unter dem Titel: "Der Thüringer Wald besonders für Reisende geschildert" veröffentlichten. Beide ergänzten sich vortrefflich. Während von Hof den geowissenschaftlichen und hydrographischen Teil zusammentrug, schilderte Jacobs Menschen und ihre Arbeit und beschrieb die botanischen Sehenswürdigkeiten der Landschaft. Es entstand ein einzigartiges zeitgeschichtliches Dokument mit großer Ausstrahlung für den Tourismus.

In Woerl's "Führer durch Thüringen" (4. Auflage/1893) findet man eine gute Beschreibung des Aufstiegs zum Kickelhahn:

"Wir folgen der, von Ilmenau an der Prellersehen Wasserheilanstalt in südwestlicher Richtung vorbeiführenden bergan steigenden Waldstraße zum Scheffeldenkmal (1/2 St.), und biegen 1/2 St. weiter aufwärts rechts in einen Fahrweg ein, welcher in wenigen Minuten zum Forsthaus, das "kleine Gabelbach" genannt, (757 m hoch) führt. Man findet hier in dem freundlichen Haus, das uns mit der Inschrift am Eingang: "Freudig trete herein und froh entferne dich wieder; Ziehst du als Wand'rer vorbei, segne die Pfade dir Gott!" empfängt, gute Bewirtung.

Die Gaststube weist eine sehr interessante Sammlung von Goethe- und Scheffelbildern auf, die Eigentum der "Gemeinde Gabelbach" sind.

Mit diesem Namen bezeichnen sich eine Anzahl Ilmenauer Herren, die neben der Pflege der Geselligkeit auch die klassischen Erinnerungen hoch halten und sich allsonnabendlich Nachmittag hier versammeln. Scheffel war Gemeindepoet dieser "hohen" Gemeinde und hat sie in seinem Gabelbachlied trefflich gefeiert. Schöne Aussicht auf die umliegenden bewaldeten Berge. Der hier wohnende Forstaufseher ist zugleich Turmwart vom "Kickelhahn". Er ist an schönen Tagen gewöhnlich auf dem Turm zu finden. Vom Gabelbach gelangen wir in 20 Minuten zunächst durch Wald beim großherzoglichen Jagdhaus "Gabelbach" (773 m) vorbei, dann über eine Waldlichtung und von hier auf den Gipfel des "Kickelhahns" (863 m), eine der höchsten Höhen des Thüringer Waldes. Von der Höhe des 1854 auf Kosten der Großherzogin Maria Paulowna errichteten 24 m hohen Aussichtsturmes genießt man eine sehr weite Fernsicht."

In Baedekers "Handbuch für Reisende in Deutschland..." von 1842 durchstreift der Autor den Thüringer Wald nur im westlichen Teil und überquert die Paßstraße bei Oberhof. Auch in späteren Ausgaben tut er sich mit Goethes Lieblingsplatze schwer. Ab 1850 erschien für Karl Baedeker ein harter Konkurrent auf dem Markt: Carl Grieben; ein weiterer 1864: Meyers Bibliographisches Institut in Hildburghausen (ab 1874: Leipzig).

Der Verlag Albert Goldschmidt schuf für Griebens Reisebücher einen größeren Markt. Er brachte eine in Leinen gebundene Ausgabe und eine broschierte Kurzfassung für wenig Geld heraus. Noch vor der Beschreibung der Sehenswürdigkeiten wurden umfangreiche Informationen über Herbergen, Gastwirtschaften, Verkehrsverbindungen, Entfernungen und über medizinische Betreuung gegeben. Für Aussichtspunkte wurden Panorama-Karten beigefügt, auch von Goethes liebsten Aussichtsberg, dem Kickelhahn. In der Auflage von 1913/14 gibt es im Vergleich zu den Angaben im "Woerl" ein Sanatorium von Dr. Wiesel; in dem Namen der Preller-Promenade klingt die Preller'sche Wasserheilanstalt nach.. Dazu gekommen ist das Friedrich-Hofmann-Denkmal, die Antonienhöhe und (neu) die Bismarckhöhe. Aber es gibt nun auch eine "Fahr-"straße nach Gabelbach als "bequemster Weg". Die "Gemeinde Gabelbach" gibt es nicht mehr an der früheren Stelle (wo ist sie nun?), dafür wurde 1911 vom wienerischen Staate das Berghotel Kurhaus Gabelbach in 780m Höhe errichtet.

Der schon erwähnte Reiseführer von Grieben "Wohin soll ich reisen?" bricht auch eine Lanze für den Thüringer Wald: "Das Landschaftsbild des Thüringer Waldes ist von dem der übrigen deutschen Waldgebirge insofern verschieden, als sich hier weder die düstere Schwermut des Schwarzwaldes noch die wilde Romantik des Fichtelgebirges oder die rauhe Wildheit des Böhmerwaldes findet. Wie die Landschaft Thüringens überhaupt strenge oder pittoreske Formen vermeidet und sich im Rahmen anmutiger Sanftheit hält, macht hier sogar der Hochwald einen mehr freundlichen als großartigen Eindruck..."

Erstmals wird auch die Frage nach möglichen Umweltschäden durch den Tourismus aufgeworfen und geschlussfolgert: Die Gefahr, "...daß der Thüringer Wald durch den großen Fremdenverkehr in seiner ursprünglichen Natürlichkeit gefährdet werden könnte...", liegt "weniger nahe, da es eine große Anzahl von kleineren und abgelegeneren Ortschaften gibt, in denen der Reisende, der weniger Wert auf Komfort als auf Ruhe legt, sich bei billigen Preisen behaglich fühlen kann."

Meyers Reisebücher aus dem Bibliographischen Institut erschienen bis 1868 unter den Namen ihrer Autoren wie z.B. 1864 "Wegweiser durch den Harz" von Heinrich Pröhle und "Neuestes Reisehandbuch für Thüringen" von Heinrich Schwert und Alexander Ziegler. Im Jahre 1872 richtete der Verlag eine eigene Reisebücherredaktion ein, die bis 1963 tätig war und dann vom Brockhaus-Verlag weitergeführt wurde. Diese neue Redaktion brachte ab 1872 alle zwei Jahre aktuell überarbeitete Ausgaben heraus und bediente sich dazu eines großen Stammes ortskundiger Informanten. Neue Titel erschienen: 1888 "Dresden und die Sächsische Schweiz", 1913 "Leipzig", 1914 "Erzgebirge", dazwischen eine große Ausgabe (1903) "Ostseebäder und Städte an der Ostsee".

Meyers Reisebücher gaben ebenfalls sehr umfangreiche Detailinformationen, wie in der Auflage von 1904 über den Kickelhahn:

"Auf dem Kickelhahn (862 m) steht ein 24 m hoher massiver Turm, zu dessen Zinne (883 m) 107 Stufen führen. Der Turmwart (Getränke) ist während der Reisezeit gewöhnlich abwesend ...Panorama: Ilmtal, dann im Halbkreis von SO. über N. bis NW fruchtbare Auen mit Städten, Dörfern, Schlössern und hell blinkenden Teichen. Im NO. die kahlen Saalberge, Fuchsturm bei Jena, Leuchtenburg, Schloß Kranichfeld, Ruine Greifenstein bei Blankenburg; im N. Plaue mit der Ruine Ehrenburg, Dorf Neusis im Tal, weiter hinaus die Türme und Zitadelle von Erfurt, die Drei Gleichen, Schloß in Gotha, Ohrdruf. Fern im N. Kyffhäuser und Brocken. Von W nach S.: der Inselsberg, Schneekopf, der Finsterberg (Aussichtskanzel) und in weiter Ferne die beiden Gleichberge bei Hildburghausen."

Meyers und Griebens Reisebücher zwangen möglicherweise auch den Baedeker-Verlag zu umfangreicheren Recherchen. Nach der Aufteilung des Handbuches "Deutschland..." und der Beschreibung des Thüringer Waldes im Jahre 1851 in "Mittel- und Norddeutschland", 1872 in "Süddeutschland" und 1889 in "Nordwestdeutschland" nimmt er auch Manebach und Ilmenau und zahlreiche Sehenswürdigkeiten der Umgebung auf. Der Kickelhahn, der inzwischen eines der größten Touristenziele in Thüringen darstellt, wird bei Baedeker im Jahre 1855 wie folgt beschrieben:

"Zur Wanderung über den Kückelhahn...10 Min. oben auf einer offenen Stelle, welche die schönste *Aussicht östlich bietet, da der, einige 100' höhere Gipfel des Kückelhahns, 2700' ü.M., mit Wald bewachsen ist. Etwa 20 Schritte weiter links ab, am Kückelhahner Häuschen vorbei (in welchem Goethe am 7. Sept. 1783 das Lied "Über allen Wipfeln (sic!) ist Ruh" dichtete...) bergab..."

Baedekers Kartographen verzeichneten exakt das Goethehaus auf dem Kickelhahn und Hermannstein. 1874 wurde das bemerkenswerte Jagdhäuschen nach einem Brand originalgetreu erneuert. Vier Jahre lang setzten sich die Ilmenauer Hoteliers und Gastwirte dafür ein, weil sie um ihre Existenz fürchteten. Baedeker trägt dem schließlich auch ausführlich Rechnung; 1920 im Reiseführer "Thüringen", nun aber auf drei vollen Seiten. Und da erfährt der Leser, daß nun die "Gemeinde Gabelbach" im Jagdschloß Gabelbach residiert, wo Goethe und Karl August sich oft aufhielten.

Zusätzlich verwendete Quellen:

Goethe's poetische und prosaische Werke, Stuttgart und Tübingen 1836; Küttler/Preuß: Drucke Gothaer Verleger 1750-1850, Gotha 1965;
Sarkowski: Das Bibliographische Institut, Verlagsgeschichte und Bibliographie 1826-1976, Mannheim/Wien/Zürich 1976.

Hans Krumbholz: Der Harz und der Thüringer Wald in klassischen Reisebeschreibungen und historischen Reiseführern
In "Reisen und leben" Heft 20, S. 3-13.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1990)
ISSN 0936-627X


Zu diesem HeftTable of contentsEuropäische Reisen im 18. und frühen 19. Jahrhundert

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