Reisen und leben, Heft 20 / 1990

Touristische Entwicklungskonzepte für Fremdenverkehrsorte am Beispiel von PETTNEU am Arlberg und FÜRSTENBERG/Weser

Die touristische Entwicklung hat in den letzten Jahren einige Veränderungen erfahren, was die Qualität angeht. Einige Länder haben Einbußen der Deviseneinnahmen zu verzeichnen, die sie schon in ihrem Budget veranschlagt hatten. Die Touristen verändern ihre Wünsche, wie z.B. die ausführlichen Untersuchungen des BAT-Freizeitforschungsinstitutes zeigen. Prof. H .W. Opaschowski glaubt eine Trendwende im Urlaubsverhalten zu erkennen; die subjektiven Erkenntnisse der Redaktion von REISEN & LEBEN können dieses - bezogen auf das Weserbergland - nur bestätigen. Da der bundesdeutsche Tourismus aber fest organisiert ist, wird er diese Veränderungen über diese Organisationen kaum wahrnehmen. Schon seit Jahren veranstaltet die Thomas-Morus-Akademie die "Lernbörse Reisen", auf der sich Leute zusammenfinden, die einen anderen Urlaub gestalten und genießen möchten, als es noch von staatlichen Stellen geahnt wird. Seit einigen Jahren treffen sich auf der ITB in Berlin diese Leute, die über andere Urlaubsinhalte nachdenken, als es der Massentourismus bietet. Aber auch die gute alte Sommerfrische mit Komfort von gestern und Preisen von heute hat im wesentlichen ausgedient. Gerade jetzt wird in deutschen Landen, wo Langzeiturlauber ausbleiben, die "Schuld" bei der Öffnung der DDR als Reiseland gesehen. Hauptsache dabei ist, man denkt nicht über sein eigenes Angebot nach, das innerhalb der staatlichen Anerkennung die marktwirtschaftliche Komponente vermissen läßt.

Umso bemerkenswerter ist es, wenn einzelne Regionen und/oder Orte sich bemühen, durch Überlegungen und Analysen den Urlauber wiederzugewinnen. In Westeuropa werden immer mehr Grenzen abgeschafft, also gibt es nicht mehr die Alternative Urlaub in Deutschland oder im Ausland. Es gibt nur noch die Alternative, wo wird mir das geboten, was ich suche, und zwar zu einem Preis, den ich mir leisten kann. Sehr zu denken sollte auch die Feststellung von Prof. Opaschowski geben, daß die Zahl der Leute, die keinen Urlaub machen können, bei uns steigt. Das verfügbare Einkommen wird aufgeteilt zwischen verschiedenen Freizeit-Betätigungen und finanziellen Rahmen. Die Skala der Wünsche ist unendlich, nur das Umsetzen ist unterschiedlich. Die Preise für Konsumgüter mit längerer Lebensdauer sind erheblich gestiegen; real müssen Abstriche gemacht werden. Dann ist die Konkurrenz der Freizeitmöglichkeiten sehr gestiegen. Wozu soll ich in 6 Wochen Freizeit 4 bis 5 Wochen vom trauten Heim entfernt verbringen, wenn ich viel Abwechslung in der Nähe habe?

Vor einigen Jahren machten sich Verantwortliche in Tirol schon Gedanken, warum die Akzeptanz dieses Landes zurückgehe. Beim Arbeitskreis für Freizeit und Tourismus an der Universität Innsbruck hat man sich weiter gehende Gedanken gemacht; dazu sind in der Zwischenzeit einige Broschüren erschienen. Darüber hinaus haben Symposien stattgefunden, die helfen sollen, Klarheit über zukünftige Wege zu schaffen. Das erste Symposium fand in Kastelruth/Südtirol im Jahre 1988 unter dem Motto "Wege zu einem intelligenten Tourismus" statt.

Nun liegt das Heft 5 der Materialien für Freizeit & Tourismus vor, das sich mit "Pettneu am Arlberg - Leitbild und Konzept zur touristischen Zukunft" auseinandersetzt. Im Vorwort gibt (auszugsweise) Dr. Weingartner, der Landesrat für Finanzen, Wirtschaft und Fremdenverkehr des Landes Tirol, die Richtung an, die der Tourismus in Tirol anstreben sollte. Er spricht von der wichtigen Aufgabe, richtungweisend für die Zukunft der touristischen Erschließung zu denken und zu handeln. Er bezieht ökologische und soziale Faktoren in das zukünftige Kalkül mit ein. Investitionen sind vor allem bei den Qualitätsverbesserungen, im Personalwesen und in der Aus- und Weiterbildung zu tätigen. Dieses ist nicht mehr neu, aber in Zusammenhang mit der Einsicht, sozialer (also gesellschaftspolitischer) und ökologischer zu denken und dann zu handeln, ist es doch ein Fortschritt.

Untersucht wurden die Entwicklung des bisherigen Tourismus und die bestimmenden Faktoren, wie Landschaft, Ortsbild, Ruhe, Dorfkultur, Gastfreundschaft, Veranstaltungen, Beherbergung, Preis, Werbung, Zusammenarbeit und die Region. Wechselbeziehungen der Tourismusfaktoren als Chancen und als Gefahren wurden untersucht. Daraus formulierte man Leitsätze und Ziele für den Tourismus in diesem Ort.

In den Leitsätzen fällt auf, daß der Ort sich als touristischer Ort weiterhin profilieren will: "Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in der Gemeinde Pettneu. Er bietet die Voraussetzung für Wohlstand und Lebensqualität, aber auch für die persönliche Entfaltung der Einheimischen." Die bäuerlich geprägte Kulturlandschaft soll bewahrt werden, aber auch in "angemessener Weise" weiterentwickelt werden. Außer Diskussion steht dabei das Skigebiet Arlberg (was ist, wenn kein Schnee da ist?).

Im Vergleich zu Orten, die auch noch andere Erwerbsmöglichkeiten haben, ist ein Ort, der auf den Wirtschaftsfaktor Tourismus setzen muß, monostrukturiert. Alle hoffen, daß die positiven Ergebnisse auch eintreten werden.

Was in Pettneu am Arlberg die Skihänge sind, ist in Fürstenberg an der Weser als Anziehungspunkt die zweitälteste noch produzierende Porzellanmanufaktur, die die Besucher anzieht. Dieser Ort hat seit Anfang der 60er Jahre rund 60% der Übernachtungen verloren; dagegen ist der Besuch im Museum der Porzellanmanufaktur nach der Neugestaltung Mitte der 70er Jahre konstant bei rund 100.000 Besuchern geblieben. Im Entwicklungskonzept für den Ort wurde nun untersucht, wie vorgesehene Pläne zum Ausbau des Angebotes zu einer Strukturverbesserung und damit zu einem Einkommenszuwachs führen könnten. Sowohl die Kommune als auch die Geschäftsführung der Manufaktur haben schon vorher darüber nachgedacht. Sie entwickelten eigenständige Pläne, die dann in Gesprächen vertieft wurden.

Untersucht wurde nun, ob konkrete Strukturverbesserungen überhaupt zu einem spürbaren Effekt führen könnten und wie so etwas zeitlich und finanziell aufzubauen sein würde. In der Zielformulierung wurde festgestellt, daß eine Entwicklungschance besteht, wenn der Ort mit seinem vorhandenen Image, das es neu zu formulieren gilt, dem zukünftigen Urlauber einen unverwechselbaren Komforturlaub anbietet. Nur in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten läßt sich ein Konzept verwirklichen, das Investitionswillige im privatwirtschaftlichen Bereich animiert, mitzutun. Dabei scheint es dem Verfasser wesentlich, daß die regionalen und überregionalen Institutionen mit an einem Strang ziehen, um in einer Art Multiplikator-Strategie ein attraktives Angebot zu gestalten. Dazu gehören aber auch ganz wesentlich marktgerechte Marketingmethoden, die bisher kaum Eingang gefunden haben. Die Entwicklung einer ortsbezogenen Corporate Identity und die Ausstattung der Werbung mit den notwendigen Geldern ist dabei eine unabdingbare Voraussetzung.

Beide Konzepte zeigen, daß der Tourismus in eine Phase eingetreten ist, die in Zusammenhang mit sich verändernden Vorstellungen zur Arbeitswelt und zur Lebensweise überdacht werden muß. Nicht mehr der 4-wöchige Familienurlaub oder der starre Urlaubsrhythmus der 60er und 70er Jahre ist die Zukunft, sondern die wesentlich differenziertere Auffassung des sich unbeschwert Wohlfühlens in komfortabler Umgebung. Dieses ist natürlich ein Ausfluß eines relativ und absolut hohen Lebensstandards in Westeuropa, dem sich die Fremdenverkehrsorte im Zuge der Liberalisierung in Europa anpassen werden müssen.

Touristische Entwicklungskonzepte für Fremdenverkehrsorte am Beispiel von PETTNEU am Arlberg und FÜRSTENBERG/Weser
In "Reisen und leben" Heft 20, S. 20-22.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1990)
ISSN 0936-627X


Die Chronologie der Baedeker von Hamburg und Schleswig-HolsteinTable of contents10 Jahre BAT Freizeitforschungsinstitut

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